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22.03.2020
Als seien es Schwestern. Wie sie beieinander sitzen auf dieser moosgrün gestrichenen Bank, Waltraud mit einem weißen wollenen Band um den Kopf, Lisbeth mit einer weißen wollenen Mütze. Beide mit hell eingefassten Sonnenbrillen, blauen Jacken gegen Wind und Wetter. Die geraden, nicht zu kleinen Nasen, die schmalen, rot betupften Lippen.
22.03.2020
Klaus Theuerkauf, der Kreuzberger Kunstaktionist, wollte eine Trauerrede auf seinen Freund und Mitstreiter halten. Er hat's nicht geschafft, zu überwältigt, zu traurig. So sollte sie beginnen: „Peter Meseck war ein zarter, gut aussehender, ruhiger und unaufgeregter Zeitgenosse. Die Brotarbeit hatte er ebenso wenig erfunden wie Genauigkeit darin. Sein oberstes Prinzip sei die Faulheit, sagte er einmal, da der Mensch aus eben dieser Faulheit und Bequemlichkeit ja auch fast alle Innovationen hervorbringe.
15.03.2020
Abends setzten sie sich in den Garten, tranken Rotwein und diskutierten über Gott und die Welt. Hinter dem Haus lärmte die Autobahn, doch das war nur noch ein Grundrauschen, das sie gar nicht mehr wahrnahmen. Dabei hatte Bernd gegen diese Autobahn gekämpft, hatte eine Bürgerinitiative gegründet, hatte Transparente gemalt und war demonstrieren gewesen. Oder sie saßen drinnen, hörten sich eine von Bernds vielen Platten an, eine Oper oder Bob Marley. Den hatten sie einmal auf einem Konzert gesehen,...
15.03.2020
Er war Schweißer und hatte weder mit der hohen Literatur noch mit der Revolution etwas am Hut. Dass er, obgleich er Schweißer blieb, in die literarischen und irgendwie auch revolutionären Kreise vorstieß, erschien ihm selbst derart bemerkenswert, dass er, viel später, diesem Vorgang seinen einzig überlieferten längeren Text widmete, beileibe keinen Roman, eher einen kleinen Bericht mit dem Titel „Kannst du schreiben, Kumpel? oder Wie man einen Arbeiterschriftsteller macht“.
08.03.2020
Ein Junge hat die Wahl: Möchte er Arzt werden oder Tänzer? Er wägt ab. Für den Arzt lernt er nicht ausdauernd genug. Das Tanzen fällt ihm viel leichter: die fließenden Bewegungen, die eleganten Drehungen, der Rhythmus, die Musik. Sie strömt durch seinen Körper, erfüllt ihn, lässt ihn größer werden, ist ein Ausblick in eine ferne, weite Welt. Tänzer also. Das Ziel seines Lebens ist gesetzt. Und so soll es ein Leben werden, das ihn aus dem kleinen Dorf auf der indonesischen Insel Java in die besten...
08.03.2020
„Ich griff zur Flasche und schenkte mir wieder ein. Schon jetzt war mir klar, dass ich völlig betrunken war, und dass ich nicht mehr weitertrinken durfte. Dennoch blieb der Hang weiterzutrinken stärker. Das farbige Gespinst in meinem Hirn verlockte mich, die nie betretenen dunklen Dickichte in meinem Innern reizten meinen Fuß; ferne rief leise nach mir eine Stimme, ich wusste nicht, was, jedenfalls Lockung.“ Hans Fallada erlag der Lockung, wieder und wieder, und schrieb darüber ein Buch, im Gefängnis,...
01.03.2020
Der Handkuss für die Damen war ein Muss. Selbst als er schon verwirrt war und gar nicht genau wusste, wer bei ihm im Wohnzimmer saß, als er, geschwächt vom Krebs, auf dünnen Beinen vor den Besucherinnen stand, über die er sich immer noch freute. Ein Kavalier, so nennt ihn sein Sohn. Ein Hoteldirektor alter Schule, Gastgeber von ganzem Herzen. Seine Bühne war das Bogota. Schlüterstraße 45, Charlottenburg. „My favorite hotel of the world“, hat Filmstar Rupert Everett es genannt. Wer unter dem orangefarbenen...
23.02.2020
Im Sommer wäre er gern noch mal zur „Sail“ in Bremerhaven gefahren, dem Auslaufen der Windjammern zusehen, den Bands am Deich lauschen, Labskaus essen, von der großen Freiheit träumen. Denn hier hatte ja alles angefangen. Harald kam aus der Ecke, aus dem Teufelsmoor, unweit von Bremerhaven, Hambergen, eine kleine Stadt, die ein ruhiges Leben versprach, das er so nie wollte.
23.02.2020
Szene eins: Marlene ist vier. Sie lebt zusammen mit ihrer Schwester Ellinor, aber ohne Eltern, auf einem Gutshof in Mecklenburg. Ellinor und die Gutshoftochter, beide älter, tuscheln oft miteinander, Marlene steht abseits. „Sei nicht traurig“, flüstert ihr Ellinor dann nachts in ihrem gemeinsamen schmucklosen Zimmer zu. „Ich bin trotzdem auf deiner Seite.“ Dieses Mal aber ist es schlimmer als sonst. Die beiden großen Mädchen laufen lachend weg. Marlene sieht sie nicht mehr, hört sie nur noch hinter...
16.02.2020
Er musste sich ein Buch nur an den Kopf halten und wusste, was drin steht, so beschrieb es mal seine Frau. Als gierte der Mann, der sich gern mit seinem Doktortitel anreden ließ, unaufhörlich nach Worten und Wissen. Nach irgendwas, das sein Gehirn verarbeiten und lernen konnte. Am liebsten kompliziert!...