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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Nachruf auf Bernd Wegner (* am 22. August 1952)

Abends setzten sie sich in den Garten, tranken Rotwein und diskutierten über Gott und die Welt. Hinter dem Haus lärmte die Autobahn, doch das war nur noch ein Grundrauschen, das sie gar nicht mehr wahrnahmen. Dabei hatte Bernd gegen diese Autobahn gekämpft, hatte eine Bürgerinitiative gegründet, hatte Transparente gemalt und war demonstrieren gewesen. Oder sie saßen drinnen, hörten sich eine von Bernds vielen Platten an, eine Oper oder Bob Marley. Den hatten sie einmal auf einem Konzert gesehen, völlig zugedröhnt soll der gewesen sein.
Bernd und seine Frau Ingrid. Das große Verlieben, einmal angesehen und in den siebten Himmel katapultiert, war es nicht. Er hatte sie in der Disco angesprochen, im „Twenty-Five“ im Europa-Center. Sie tranken was zusammen, unterhielten sich übers Skifahren. Schöne Augen hatte er. Ihr Typ war er nicht. Trotzdem: Sie könnte es ja mal probieren mit ihm, dachte Ingrid.
Wenn man sie so berichten hört über ihre gemeinsame Zeit, und wie er ihr jetzt fehlt, der Mann, mit dem sie die Welt gesehen und ein Haus gebaut hat, der stark genug war, ihrer schlagfertigen Art und ihrer schnellen Zunge standzuhalten, dann versteht man ihre Einsicht, „dass die Liebe dann irgendwann doch da war.“ Jetzt muss sie sich räuspern und durchatmen, bevor sie weitersprechen kann.
Im August 1961, an dem Tag, als die Mauer gebaut wurde, waren Bernd und seine Mutter im Westen. Sein Vater stand im Osten und kam nicht mehr rüber. Kurzerhand steckte er einem der Volkspolizisten etwas Geld zu, sprang in den Teltow-Kanal und schwamm zu seiner Familie. So geht die Familienlegende. Sein Vater besaß erst einen Fahrradparkplatz und -verleih und machte dann einen Kiosk auf. Die Mutter kümmerte und sorgte sich um Bernd. Sorgte sich so sehr, dass er kaum raus durfte, um sich mit anderen Kindern zu treffen.
20 war er, als er sich entschied, zur Polizei zu gehen. Vielleicht wollte er seine Mutter ärgern, vielleicht passte es auch zu seiner Art, Bescheid zu wissen und gerne recht zu haben. Drei Zeitungen hatte er im Abo, die hob er sich jahrelang auf, sortierte Artikel nach Thema, und wenn er beweisen musste, dass der andere falschlag, suchte er den entsprechenden Ausschnitt raus und hielt ihn dem Irrenden unter die Nase. Ingrid: „Damit hat er sich natürlich nicht nur Freunde gemacht, aber so war er halt.“
Und wo kann man besser recht haben als bei der Polizei? Ausbildung, erste Dienstjahre, dann eine Pause. Was sie damals gestochen hatte, weiß Ingrid nicht mehr. Aber 1977 machten die beiden ein Bistro auf, „Zum Busstop“, gegenüber vom Rathaus Schöneberg. Bernd stand hinterm Tresen, Ingrid in der Küche. Deutsche Kost, kühles Bier. Doch schnell merkten sie, dass ihnen etwas fehlte, was man in diesem Beruf unbedingt brauchte: Die Bereitschaft, auf Urlaub zu verzichten, und dieses besondere Talent, auf wirklich jeden Menschen offen und herzlich zuzugehen. Ingrid sah Bernd an, und Bernd sah Ingrid an, und da entschieden sie, den Laden wieder zu verkaufen. Und zufällig, wie vom Glück bestellt, brummte der Laden an Tag, an dem der Kaufinteressent hereinspazierte, jeder Platz war besetzt.
Zum Glück nahmen sie ihn auch wieder bei der Polizei, er landete bei der Motorradstaffel, bekam eine große Maschine, einen weißen Helm und eine schicke grüne Lederkluft. Jetzt machte er den Weg frei für Staatsgäste, stand am Flughafen Spalier, um Präsidenten und Minister in Empfang zu nehmen.
Im Urlaub gingen sie stundenlang an menschenleeren Stränden spazieren, schnorchelten zwischen Korallenriffen, besuchten die Seychellen, Sri Lanka, die Malediven, Jamaika, als es dort noch ganz wenige Touristen gab. Bernd buchte Flüge und Hotels über ein englisches Büro, die hatten gute Preise. Damit sie zwei-, dreimal im Jahr weg konnten, ging er abends noch Werbezettel verteilen und machte andere Nebenjobs. „Nur bei den Eisbären waren wir nie“, sagt Ingrid. Und immer brachten sie Andenken mit nach Hause, Schnitzereien oder eine Weltkugel auf ein Straußenei gemalt.
Grundsätzlich war Bernd sparsam. Unnötige Ausgaben im Alltag gab es nicht. Nur wenn sie ausgingen, mit Freunden oder der Familie, lud er alle ein. Und als seine Frau sich mal in eine Kette für 3000 Euro verguckt hatte, kaufte er sie ihr. „Eigentlich hatte Bernd immer Glück gehabt. Alles wandte sich zum Guten“, sagt Ingrid. Ihr Haus zum Beispiel konnten sie mit dem Geld bauen, das er als Entschädigung für jenes Grundstück im Osten bekam, das seine Familie damals hatte aufgeben müssen.
Nur mit dem Krebs hatte er kein Glück mehr, ein schlimmer Gehirntumor. Er verwechselte auf einmal Wörter, konnte sich nicht mehr ausdrücken. Es ging auf und ab, Umzug in ein betreutes Wohnen, Chemotherapie, eine Besserung und dann musste er doch ins Pflegeheim und bekam einen Palliativarzt. Ingrid kam jeden Tag an sein Bett, las ihm aus der Zeitung vor, spielte seine Musik. Ende Januar ist er gestorben. Dabei waren die nächsten drei Reisen schon geplant. Karl Grünberg