Nachrufe
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10.06.2011
"Sagt ein Schwein zum anderen, mir ist Wurst, was aus uns wird"
Nachruf auf Reinald Hapke (Geb. 1952)
Oh Gott, wie sieht der denn aus!“, rief die Hebamme. Ganz blau waren Reinalds Beine und angeschwollen. Wegen einer Gefäßerkrankung war Reinalds Durchblutung unterhalb des Bauchnabels gestört. Er hatte mehr Blutgefäße als üblich, aus seinen Beinen quollen die blauen Adern.
03.06.2011
Aber er lässt sich nicht gehen
Nachruf auf Julio Garcia-Santana (Geb. 1957)
Er spricht sie an, einfach so, ohne besonderen Spruch. Wie die Männer in Puerto Rico es tun, wenn ihnen eine Frau gefällt. 1986 ist das, auf einem Willie-Colón-Konzert im Tempodrom. „Da hatte ich so einen Stich im Herzen“, sagt Angelika. Er fragt sie, ob sie einen großen Salat mag. Mit Ei, Schafskäse, Thunfisch, Tomate, Paprika und viel Knoblauch. Sie verabreden sich. „Er hat sich durch Kochen in mein Herz geschlichen.“ Und durch Tanzen. Sie mag Walzer und Foxtrott, ihm liegen Salsa und Merengue.
03.06.2011
Die Kinder waren so artig, dass es fast schon ein wenig langweilig wurde
Nachruf auf Ingeborg Nebel (Geb. 1921)
Im Mai zog Ingeborg mit ihrer Schwester für die Nächte in das Häuschen weit hinten im endlosen Woltersdorfer Garten. Im Sommer lief sie barfuß über die Wege und Wiesen. Ihre Kleider waren von der Mutter genäht. Fleisch aß sie kaum. Dafür Äpfel und Birnen von den eigenen Bäumen, Beeren von den eigenen Sträuchern, Kartoffeln von den eigenen Feldern. Sie wusste, sie lebte anders als die anderen Kinder. „Mutti, ich will nicht immer ’ne Gitarre sein“, sagte sie vierjährig zu ihrer Mutter. Sie meinte...
03.06.2011
Sobald was gut gelaufen ist, hat er’s versemmelt
Nachruf auf Aleksandar Welz (Geb. 1982)
Lange stand sein Foto im Schaufenster eines Kreuzberger Streetwear–Geschäfts. Ein schlaksiger junger Mann, kurzgeschorene Haare, Basecap, herausfordernder Blick, die eine Hand zum Satansgruß gespreizt, Zigarette im Mundwinkel. Im Hintergrund die Altbausilhouetten. „Elmo, wir vermissen Dich. In ewiger Erinnerung, Deine Freunde vom Depot 2“ war darunter zu lesen. Jetzt ist das Foto verschwunden.
27.05.2011
Auch Frauen führte er groß aus. Sofern sie ein paar Themen vermieden
Nachruf auf Manfred Klinke (Geb. 1947)
Die Ärzte hatten ihn vor die Wahl gestellt: Entweder Operation und die Chance auf Heilung oder Verzicht auf den chirurgischen Eingriff, mit dem Risiko, dass ihm kaum mehr als zwölf Jahre zu leben bleiben würden.
27.05.2011
"Mensch Manni, jetzt mach keinen Mist!"
Nachruf auf Manfred Becker (Geb. 1949)
Siegfried Becker war 17, befand sich in der Ausbildung bei der Bundesbahn und aß gerade Mittag in der Kantine, als am Nachbartisch jemand die Bild-Zeitung auseinanderfaltete. Die Titelgeschichte berichtete von einem jungen Deutschen in Italien, der im LSD- Rausch ein Geschäft überfallen, eine Frau erschossen und zwei Männer angeschossen hatte. Siegfried Becker sah auf der Titelseite das Bild des Täters. Das war Manni! Sein großer Bruder Manni!...
20.05.2011
"Da wird einem einfach so das Leben genommen"
Nachruf auf Karen Gern (Geb. 1937)
Ihr Familienname war Programm. Was Karen tat, das tat sie gern. Sie liebte ihr Leben, und sie war eine Sammlerin. Immer zu einem Schwatz aufgelegt, sammelte sie Bekanntschaften. Aus einem Anruf bei einer Servicenummer konnte eine Freundschaft erwachsen.
20.05.2011
"In der ,Bar’ und im ‚Tipi’ ist immer einer, der kippt Sahne in seine Cola"
Nachruf auf Adolf Wirth (Geb. 1937)
Immer saß er in der ersten Reihe im Kabarett „Die Wühlmäuse“, immer auf Platz 9. Vor Beginn der Vorstellungen begab er sich in die Kantine, stellte er sich immer an dieselbe Ecke des Tresens, für ein Getränk, ein Gespräch.
20.05.2011
Es ging nicht nur um die schöne Literatur bei ihm, es ging um weit Gefährlicheres
Nachruf auf Ludwig Mehlhorn (Geb. 1950)
Die Tür des Hauses Knaackstraße 34 zwischen Kollwitzplatz und Wasserturm war nie verschlossen, weder am Tag noch in der Nacht. Ganz oben wohnte Ludwig Mehlhorn, das wussten damals viele, in den Siebzigern, vor allem in den achtziger Jahren. „Gehst du zur Lesung?“ „Lesung bei Ludwig, komm mit!“ Die Literaturneugierigen verständigten sich.
13.05.2011
Von Schönefeld aus steigt die Cessna in den Himmel, landet auf Usedom
Nachruf auf Fabian Roecker (Geb. 1981)
Hinnerk hockt über seiner Bachelor-Arbeit, schlägt früh am Morgen die Bücher auf, schließt sie erst spät am Abend. Manchmal läutet das Telefon: „Du musst mal raus, nur ein kleines Bier!“ Er lehnt ermattet ab. Wieder das Telefon: „Hier ist Fabi. Ich muss meine letzten Flugstunden nehmen. Los, wir fliegen an die Ostsee!“ Hinnerk zögert. Der Abgabetermin ist in wenigen Tagen. Trotzdem klappt er die Bücher zu. Von Schönefeld aus steigt die Cessna in den Himmel, landet auf der Insel Usedom. Die beiden...