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20.04.2012
"Det vasteh ick nich, dazu bin ick noch zu kleen"
Nachruf auf Christina Heimlich (Geb. 1920)
Seit 1949 fuhr Christina Heimlich mit ihrem cremefarbenen Cadillac diese endlose Straße entlang, über flache bewaldete Hügel, vorbei an sich gleichenden Häusern aus Holz, an Eichen und Götterbäumen, auf die die Menschen von Falls Church, einem Vorort von Washington D.C., nur wenn es stürmt und die Stämme sich bedenklich biegen, mit bangen Blicken schauen.
20.04.2012
Ihr zu helfen, fällt leicht. Man weiß ja, wie stark sie ist
Nachruf auf Gertrud Aigner (Geb. 1962)
Was mache ich hier?“ fragt eine Frau in die Kamera. Sie dreht sich dabei, kreist durch ein Tanzstudio, streckt ihren trainierten Körper. Unterbricht sich kurz darauf, wie zurückgeholt in die Realität: „Ich muss doch die Kinder abholen. Ich muss doch einkaufen. Was mach’ ich hier?“ Die Frau in dem Video ist Gertrud. „Die Leiter“, so heißt der Kurzfilm aus dem Jahr 2005. Er erzählt davon, dass man im Leben auf manche Leiter steigen muss, um den Überblick zu behalten.
20.04.2012
"Du kriegst keine Geschenke. Wenn überhaupt, dann bekommst du sie!"
Nachruf auf Hans-Joachim Schulz (Geb. 1934)
Der „Sport-Club Tasmania von 1900 Berlin“ hält knapp 40 Jahre nach seinem Untergang noch zahlreiche Bundesligarekorde: Letzter Platz in der Ewigen Bundesligatabelle, schlechteste Saisonbilanz, die wenigsten Bundesliga-Tore, die meisten Niederlagen, längste Niederlagenserie, höchste Heimniederlage (0 : 9 gegen MSV Duisburg am 26. März 1966), Bundesligaspiel mit den wenigsten Zuschauern (827). Die Liste ließe sich fortsetzen, doch ein wahrer Fan bleibt von übellauniger Statistikhuberei unbeeindruckt.
13.04.2012
Vor den Nazis hatten sie eigentlich fliehen wollen
Nachruf auf Werner Finkelstein (Geb. 1925)
Eigentlich sind es drei Geschichten. Eine abenteuerliche, eine traurige und eine glückliche. Kein Junge in seinem Alter hat wohl je eine so weite Reise gemacht. Mitte März 1941 ging es los. Zwei Köfferchen hatte er dabei, darin „Knaurs Lexikon“, das Buch „Jüdisches Fest, jüdischer Brauch“ und viel warme Wäsche. Mit der Eisenbahn fuhr er von der russisch-finnischen Grenze nach Wladiwostok. Von dort mit dem Schiff nach Japan, dann weiter nach Hawaii, wo er seinen 16. Geburtstag feierte. Waikiki! Der...
13.04.2012
Sie fragt nicht: "Warum?" Sie fragt: "Warum denn nicht?"
Nachruf auf Charlotte Sommerfeld (Geb. 1920)
Ein Auto braust um den Strausberger Platz, ein Mal, zwei Mal, drei Mal, ein fliederfarbener F9, das Dach leuchtend weiß, die Formen geschwungen wie die eines alten Jaguars. Das Auto aus volkseigener Produktion ist allerdings nur halb so groß. Platz für Mutter und drei Kinder bietet es allemal, der Vater dirigiert das Rundfunk-Sinfonieorchester, er fährt selten mit. Die Mutter, Charlotte Kleinert-Sommerfeld, lenkt das Auto immer wieder um den Kreisverkehr, ruft: „Wo wollten wir noch hin?“, die Kinder...
30.03.2012
"Die Geschichten in der Geschichte interessieren mich."
Nachruf auf Cécile Lowenthal-Hensel (Geb. 1923)
Als kleines Mädchen muss sie bei Familienfesten den Stammbaum ihrer Familie auswendig aufsagen: Urururgroßvater Moses Mendelssohn, Philosoph der Aufklärung. Urgroßonkel Felix Mendelssohn Bartholdy, Komponist. Urgroßmutter Fanny Hensel, geborene Mendelssohn Bartholdy, Komponistin.
30.03.2012
Sie provozieren und versöhnen dann alle mit ihrem "Friedenslied"
Nachruf auf Edgar Domin (Geb. 1955)
Klangforscher und freier Radikaler, Acid- Head und Genussmensch, Anarchist und Mao-Fan, Edgar hatte viele Facetten und Lebensphasen. Geboren in Bremerhaven, lassen sich er und sein Schulfreund Volker treiben. Die Haare lang, erste Rauscherfahrungen, Kleinstadtrebellen im Sog des Zeitgeistes. Mit 15 abonniert Edgar die maoistische „Peking Rundschau“. Der Vater, Steward auf einem Kreuzfahrtschiff, drei Monate im Jahr anwesend, hat für die Gammler wenig Verständnis, die Mutter, eine Wienerin, lässt...
30.03.2012
Er wusste es schon vor dem Stimmbruch: "Sozialist teilt jeden Mist"
Nachruf auf Udo Fieber (Geb. 1952)
Udo Fieber, der sein Examen nur knapp bestanden hatte, war einer der fähigsten Lehrer an der Neuköllner Sonderschule. Er wusste, wann ein scharfes Wort angebracht war, wann ein Lachen, wann eine Berührung an der Schulter. Er holte manch ein Kind an der Haustür ab, um es zur Schule zu bringen. Am Wandertag lotste er die Kinder raus aus dem Sumpf, hoch auf den Teufelsberg. Den Lohn für die Gipfelerklimmung, eine Einladung an der nächsten Imbissbude, spendierte er selbst.
23.03.2012
"Ich hasse jede Art von Umwegen"
Nachruf auf Werner Greve (Geb. 1952)
Kreuz und quer rannten die Schulkinder über die Herforder Straße. Bis die Bielefelder Behörden entschieden, diesem Durcheinander ein Ende zu setzen und eine Ampel zu installieren. Die Schüler überquerten die Straße nun vorschriftsmäßig, ausgenommen Werner, der sich weigerte, 50 Meter weiter zu laufen.
16.03.2012
"Wenn man bedenkt, dass wir alle verrückt sind, ist die Welt erklärt"
Nachruf auf Andreas Thies (Geb. 1960)
Was Goethe und Stephen King gemeinsam haben? Sie hassen Langeweile und haben ein Gespür für gute Geschichten. Und getrunken haben sie auch ganz gern. King ist inzwischen trocken und Goethe tot, aber beides will bei Autoren nicht viel heißen. Andreas liebte Goethe und King. Er wäre selbst gern Autor geworden, Romanschreiber, Dichter. Geschichtenerzähler war er ja schon, quasi von Berufs wegen.