Nachrufe
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20.01.2012
Ein Grenzgänger. Wenn es schwierig wurde, zog er sich schnell zurück
Nachruf auf Jörg Tatarczyk (Geb. 1967)
Von ihrem Vater hat Carlotta einen Koffer geerbt. Es ist kein Koffer voller Geld, dafür steckt ein ganzes Leben drin. Fotos natürlich und auch Filmaufnahmen, Bücher, Dokumente eines bewegten Schauspielerlebens. Sie berichten von einer Zeit, in der Carlotta ihren Vater kaum kannte. Bis vor drei Jahren war das so. Carlotta erinnert sich, wie sie als kleines Mädchen auf seinem Schlagzeug getrommelt hat, um ihn zu wecken. Aber das ist lange her.
20.01.2012
Was jetzt? Schreien, weinen, in Kissen beißen. Langsam auf die Beine kommen
Nachruf auf Helga Staritz (Geb. 1938)
Emanzipation, Gleichberechtigung, Selbstverwirklichung. Brauch ich nicht, fand Helga Staritz. Es war nur so, dass sie irgendwann nicht mehr darum herumkam.
13.01.2012
Whiskey und Hasch im Grab, Wegzehrung für die letzte Reise
Nachruf auf Karl-Heinz Lindtner (Geb. 1945)
Trotzig hat er noch seinen jährlichen Flug nach Thailand gebucht. Die Hoffnung, sich mit einem „goldenen Schuss“ bei Sonnenuntergang und Meeresrauschen vom Leben zu verabschieden. Aber daraus wird nichts. Nackt sitzt er am offenen Fenster in der Wohnung seiner Lebensgefährtin, um sein Sterben zu beschleunigen. Er ist dankbar, immerhin hier sein zu können. Er isst schon lange nicht mehr, trinkt nur Alk. Aus den Boxen dröhnt „Highway To Hell“. Die Strategie führt zum ersehnten Ende, eine Lungenentzündung...
13.01.2012
Der Lehrer zeichnete ein Benzolmolekül an die Tafel, da blitzte es
Nachruf auf Hideto Sotobayashi (Geb. 1929)
Seine Erinnerungen hatte er früh in Form gebracht. Tagebucheinträge, in nüchternen Absätzen zusammengeschnürt, was sich nicht mehr rühren sollte. Ein Erinnerungsbewältigungskonzept, das gut funktionierte, meistens. So konnte er aus den Erinnerungen vorlesen, als gehörten sie nicht zu ihm. Leise, in gebrochenem Deutsch, der Raum so still, als stehe dort nur er selbst, zierlich und leicht gebeugt am Rednerpult.
06.01.2012
Mit Werbung allein ließ sich die kreative Atemnot nicht lindern
Nachruf auf Pieter Schnell (Geb. 1969)
Ungewöhnlich ist das Wort, das vieles beschreibt, was Pieter betrifft.
06.01.2012
Er produziert Bilder in einer Stadt, in der es mehr Bilder als Wände gibt
Nachruf auf Laszlo Kerekes (Geb. 1954)
Ein See ohne Wasser in der Vojvodina, Jugoslawien. Ein Mann mit Bart und langen Haaren malt mit Kreide bizarre Muster auf den verdorrten Boden, als wolle er Außerirdischen beim Landen helfen. Oder Bombenabwürfe lenken, auch wenn noch keiner ahnt, dass es sie geben wird. Am Ufer ein junges deutsches Touristenpaar, ungläubig und fasziniert. Sengende Hitze, in Laszlos Flasche ist kein Wasser, sondern selbst gebrannter Schnaps. Sie kommen ins Gespräch, aber verständlich machen kann er sich nicht. Worin...
30.12.2011
"Unter jedem Dach gibt es ein Ach"
Nachruf auf Dorothea Strauß (Geb. 1923)
Geboren in Wedding, aufgewachsen in Moabit, der Vater ist Müllmann, die Mutter streng, Geschwister gibt es keine, eine karge, trotzdem schöne Kindheit. Als Schulmädchen kommt Dorothea, die damals noch Hüller heißt, zum Bund Deutscher Mädel. Sie ist jung, naiv und freut sich über die Abwechslung. Als ihre jüdische Schulfreundin „Nazi“ zu ihr sagt, wundert sie sich.
30.12.2011
Am nachhaltigsten tat es ihm die Grenze mitten durch Berlin an
Nachruf auf Wolfgang Fritz (Geb. 1944)
Auf einem Kinderfoto sieht man ihn in einer großen Blechwanne im Garten sitzen. Seine Ohren stehen etwas ab, er nuckelt am Daumen. Komplett angezogen mit Hemd und Lederhose sitzt er in der Wanne und blickt zufrieden. Ein weiteres Foto, 40 Jahre später: Lächelnd hält er eine Zigarette in der Hand und telefoniert in seiner Charlottenburger Altbauküche. Ein zotteliger roter Schal überm kurzärmligen Hemd. Er trägt Brille und einen gepflegtem Trotzkistenbart. „Die Küche wurde der zentrale Ort in der...
30.12.2011
Was er nicht alles war. Komtur, Lehrling, Meister, Vertrauter der Vollendung
Nachruf auf Werner Schwarz (Geb. 1918)
Er kam aus gutem Haus, aber das nutzte ihm nicht viel. Der Vater Professor, die Mutter Pastorentochter – selbstverständlich wäre so einer an die Universität gegangen, hätte studiert, wäre womöglich wie der Vater Wissenschaftler geworden. Aber als er sein Abitur gemacht hatte, schickten sich die Deutschen an, die Welt zu erobern. Für Werner Schwarz bedeutete das: ein Jahr Reichsarbeitsdienst, sechs Jahre Krieg, vier Jahre Gefangenschaft.
23.12.2011
Er sang die alten unmodernen Lieder und liebte die alten modernen Möbel
Nachruf auf Oliver Axer (Geb. 1962)
Die Stimme aus dem Off sagt: „Balkonpflanze“. Die Dauer eines Lidschlages verstreicht. Oliver Axer antwortet: „13“ – „Krawattenknoten“ – „15“ – „Blumentopfuntersetzer“ – „21“...