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18.11.2011
"Das Instrument heißt Bandonion, das ist die korrekte Schreibweise"
Nachruf auf Karl Oriwohl (Geb. 1917)
Drei Notenzeilen nur, aus der Erinnerung mit Bleistift auf einen Streifen Papier gemalt. Wie heißt das Stück? In den dreißiger Jahren war es in Berlin populär, so viel weiß der ältere Akkordeonspieler aus den Vereinigten Staaten. Er fragt einen anderen älteren Herrn, der zu Besuch aus Deutschland da ist. Auch er hat keine Idee. Der Streifen Papier fliegt über den Atlantik, geht in Berlin von Hand zu Hand, monatelang, alle schütteln den Kopf. Bis Karl Oriwohl einen Blick auf die Noten wirft: „Das...
18.11.2011
Was für die Ewigkeit gedacht war, schwindet, und er lässt das nicht zu
Nachruf auf Eckehart Ruthenberg (Geb. 1943)
Ein Mann mit Vollbart im freundlichen Gesicht, darüber volles grau- es Haar, steht auf dem Gehweg der Schliemannstraße, Prenzlauer Berg. Seine Füße stecken in Pantoffeln. Eine Mutter mit Tochter kommt vorbei und gelangt mit ihm ins Gespräch. In dem Laden, vor dem er steht, schnitzt und verkauft er Holzfiguren. Die Frau würde gerne eine Krippe kaufen, doch ihr fehlt im Augenblick das Geld. „Da muss ich noch ein bisschen sparen.“ Er antwortet: „Dann wäre es gut, wenn Sie im Sommer fertiggespart hätten,...
11.11.2011
Eitel, zielbewusst, polyglott, stolz auf seinen Bentley mit der Nummer "B-A 1"
Nachruf auf Heinz Zellermayer (Geb. 1915)
Mal angenommen, Heinz Zellermayer hätte sich damals, 1949, nicht mit einer Flasche Whiskey in der Tasche zum amerikanischen Stadtkommandanten Frank Howley gedrängelt. Wäre Berlin dann die Stadt geworden, die es heute ist? Die legendäre Sauferei der beiden Männer währte offenbar nicht besonders lang – aber sie brachte die Aufhebung der Sperrstunde und Berlin damit den Ruf der Metropole, die niemals schließt.
11.11.2011
Jeder kennt die Frau, die schick zurechtgemacht über die Flure hastet
Nachruf auf Eveline Reinke (Geb. 1937)
Der sanfte Wind, die silbrige See, der Duft von Thymian und Rosmarin. Zypern, die Insel der Aphrodite – ihre zweite Heimat. Der hat Eveline immer mit geschlossenen Augen nachgespürt, wenn ihr hier alles zu viel wurde. Dabei war das in Evelines Plan gar nicht vorgesehen, dass irgendwas zu viel wurde. Allein die Zahl ihrer Familiennamen hätte für mehrere andere gereicht: geborene Hermenau, verheiratete Beyer, Zimmer und Reinke.
11.11.2011
"Was, wenn wir erwischt werden?" – "Tja, nun."
Nachruf auf Christian Veit (Geb. 1935)
Wer in den siebziger Jahren am Grips-Theater arbeitete, machte das nicht nur aus Lust am Spiel. Da war immer auch die Politik im Spiel. Das Kindertheater war Teil der Achtundsechzigerbewegung, Kinder sollten lernen, sich zu wehren, gegen schlagende Väter etwa oder brüllende Lehrer. Die Kinderladenkinder wuchsen mit den kapitalismuskritischen Grips-Liedern auf und sangen sie laut mit: „Meins oder deins – was für ’ne doofe Frage! Wir können doch auch teilen, dass jeder immer das bekommt, was er gerade...
04.11.2011
Rau und ruppig bist du, schimpfte sie und blieb 40 Jahre bei ihm
Nachruf auf Martha Lillich (Geb. 1923)
Bleib doch hier“, sagte Marthas Cousine. Hier, in Berlin? Mit 16? Sollte sie nicht zurück in ihr schlesisches Dorf? Würde man sie dort vermissen? Der Vater vielleicht, die Schwester bestimmt. Aber die Stiefmutter? Der Stiefmutter werde ich nicht fehlen, dachte Martha. Ihre Mutter war gestorben, vor Jahren schon. Irgendwann hatte der Vater eine neue Frau geheiratet, Kinder mit ihr bekommen. Und Martha fühlte sich fremd, verloren. Sie blieb in Berlin, für immer.
04.11.2011
Er wollte den Alltag, mit aller Gewalt, er wollte so weiterleben wie bisher
Nachruf auf Sven Laak (Geb. 1962)
Wen konnte er verfluchen, dafür, dass er sterben musste, viel zu früh sterben, früher als all die anderen, die so leidenschaftslos lebten? Sein Lebenswille hätte noch hundert, ach was, zweihundert Jahre gereicht.
04.11.2011
"Das ist Löss aus dem Diluvium"
Nachruf auf Jürgen Bartel (Geb. 1933)
Als vorletztes von fünf Kindern ist Jürgen Bartel in einem „grünem Paradies“ aufgewachsen. So hat er das Haus der Stadtgärtnerei am Schloss Neustrelitz später genannt. Doch es kommt der Krieg, der Vater ist Regimentskommandant in Frankreich, gelangt in die Gefangenschaft, und schließlich bewohnt die Familie zu fünft ein Zimmer. 1948 ziehen sie nach Lübeck, ein Neuanfang im Westen. Der Vater schlägt sich durch als Illustriertenverkäufer. Drei Jahre später geht es nach Köln. Dort findet der Vater...
28.10.2011
"Wir waren die ersten, die Urlaub bekamen, bezahlten Urlaub"
Nachruf auf Lieselott Mertins (Geb. 1909)
Hundert Jahre Leben. Der erste Weltkrieg und der zweite, die Berlin-Blockade, der Mauerbau und der Mauerfall. Hundert Jahre Erinnerung. Der Vater starb 1915 als Lazarettinspektor an Fleckfieber, da war Lieselott sechs Jahre alt. Ihre Mutter, allein mit zwei Kindern und in finanzieller Not, zog von Swinemünde nach Stettin und schließlich nach Berlin.
28.10.2011
"Borg’ dir immer mehr als du brauchst."
Nachruf auf Bernd Kuse (Geb. 1944)
In den Sechzigern hat er in Dresden Maschinenbau studiert. Als West-Berliner. Montagmorgens ist er mit einem Passierschein eingereist und freitagabends zum Feiern wieder zurück in den Westen gefahren. Die Stasi hat sich nie für ihn interessiert. Ist er durchs Raster gefallen?...