Nachruf auf Eva Maria Bahlrühs (* am 23. September 1960)
Frech war sie und lebendig. Viele mochten sie deswegen und unterstützen sie. Am Ende hat sie sich verloren und viele fragten sich, wie das hat kommen können.
Eine Kindheit in Norddeutschland, ein Kaff an der Ostsee. Steif und streng ging es zu Hause zu. Eva versuchte, mit den Widerworten dagegen zu halten. Eine Zwillingsschwester hatte sie, noch eine Schwester und zwei ältere Brüder. Ihr Vater starb früh und überließ der Mutter ein großes Haus, eine Schneiderei mit 40 Angestellten und vielen Großaufträgen. Gejammert oder geklagt wurde nicht. Probleme wurden gemeistert, Schwächen waren unerlaubt.
Die Mutter hatte kaum noch Zeit. Erst gab es ein gemütliches Dienstmädchen, das Eva ein bisschen von der Liebe gab, die sie vermisste. Später mussten Eva und ihre Schwester mehrere Jahre bei der Tante wohnen. Verhärmt war die und griesgrämig und außerdem noch Lehrerin an Evas Schule. Kein Entkommen. Als Eva später ihrem Mann Teo davon erzählte, weinte sie. Tatsächlich lag unter der lauten Frechheit etwas sehr Sensibles und Verletzliches. Eva konnte stundenlang nachgrübeln und sich Gesagtes und Getanes zu Herzen nehmen. Ihre Freundin Gabi erinnert sich, wie sie zusammen mit Eva und ihrer Tochter die Mutter besuchte, Oma-Urlaub an der Ostsee, und sie erschrocken war von dem distanzierten Tochter-Mutter-Verhältnis. Als Jugendliche ging Eva für zwei Jahre auf einen Bio-Bauernhof. Das tat ihr gut.
1980 kam Eva nach Berlin. Wo sie auftauchte, im Germanistikseminar, auf Partys, zog sie die Aufmerksamkeit auf sich. Mit den Männern flirtete sie selbstbewusst und sagte ihnen, wo es lang ging. Sie pflegte durchaus auch mehrere Liebschaften gleichzeitig. „Eva war von uns Freundinnen immer die erste in allem“, sagt Gabi. Auch die erste, die schwanger wurde, da war sie 20. Mit dem Vater war es ein Drama. Freundinnen holten Eva aus der Beziehung und aus der Wohnung. Warum sie es nicht selbst schaffte? Die Liebesbedürftige wollte wohl die Hoffnung nicht aufgeben.
Mit ihrer Tochter zog Eva in eine riesige Wohngemeinschaft in der Fasanenstraße. Hier passten sie gegenseitig auf die Kinder auf. Mit dem Germanistikstudium lief es nicht so gut. Es gab dann den Moment, als sie die Tochter in die Kita gebracht hatte, dann wiedermal zu spät vor dem Seminarraum stand, die Hand auf der Klinke, und sich dann doch umdrehte und ging.
Sie arbeitete in einem Puppentheater und in einer Jugendmedienwerkstatt mit taffen Kids. Taff sah sie selbst auch aus, die Haare auf der einen Seite abrasiert. Die Halbstarken in der Werkstatt hatte sie schnell im Griff. Eine Freundin riet ihr, sich an der Filmhochschule zu bewerben. 18 Plätze gab es und tausend Bewerbungen. Erst mit einer Fotogeschichte, in der nächsten Stufe mit einem Kurzfilm, den sie in fünf Tagen drehen und schneiden musste. In Evas Film ging es um Männer als einsame Wölfe. Dann sollte sie eine Theaterszene auf einer Probebühne mit Schauspielern inszenieren. Dann noch das Auswahlgespräch - und Eva war drin!
So ein Regie-Studium ist nervenaufreibend. Mehr Praxis als Theorie, die vielen Filme, die sie während des Studiums drehen müssen. Drehbuch schreiben, Crew zusammenstellen, drehen, schneiden, jedes Projekt dauert Wochen, Monate. Das Leben in einer Blase, in der es um nichts als den Film geht. Doch Eva hat Lust und Energie, sie mobilisiert alle Kräfte, nicht nur die eigenen. Ihre Tochter nimmt sie überall hin mit. Der Abschlussfilm handelt von einem Mann, der seine Frau an einer Tankstelle vergisst. Eine bissige Geschichte, die auf Festivals läuft, hochgelobt und ausgezeichnet. Was für ein Start!
Teo ist Dozent. Sie schreibt eine vernichtende Kritik über einen seiner Filme. Schließlich sitzt sie an einem Kneipenabend auf seinem Schoß. Er: „Wenn du mich weiter bedrängst, fall' ich ihn Ohnmacht.“ Sie: „Dann fall doch.“ Der Stuhl fällt um, quetscht ihren Finger ein. Krankenhaus, Verband, sie kann sich noch nicht einmal alleine ausziehen und muss natürlich mit zu ihm.
Ihm gefällt, dass sie so gerne lacht und andere zum Lachen bringt, dass Small Talk ihr verhasst ist. Sie heiraten im Rathaus Schöneberg, Freunde spielen vor der Tür Dudelsack, andere werfen Filmrollenschnipsel, die Party feiern sie auf einem Dampfer, der bis in die Nacht den Landwehrkanal rauf und runter fährt.
Film und Gleichberechtigung - ein Problem. Wenig Frauen führen Regie, Jobs und die Förderungen verteilen Männer untereinander. Eva arbeitete als Regieassistentin, wird weiterempfohlen, hat mehr Angebote als Zeit. Aber stets als Assistentin der Männer. Sie schreibt Drehbücher und Exposés. Aber es wird nie mehr daraus. Eva ist frustriert. Sie und Assistenz, das passt einfach nicht! Sie macht einen Cut. Schluss mit der Filmwelt, Neustart.
Sie näht, erst Klamottensets für Puppen, dann Kindersachen und schließlich kommt sie auf die Idee mit den Taschen. Ihre Tochter braucht eine Federtasche für die Schule, Eva hat keinen passenden Stoff da, aber viele Reißverschlüsse. Die näht sie zusammen, und fertig ist ihre erste Reißverschluss-Tasche. Die erste von vielen tausend. Sie richtet sich eine Werkstatt ein, stellt Helferinnen ein und verbringt Zeit auf den Kunstmärkten, 14 Mal hat sie einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt. „Nun bin ich wohl ein Marktweib, aber das ist okay“, sagte sie. Und strahlt. Die Leute mögen sie, kaufen bei ihr, Schauspielerinnen, Touristen, die Frau eines Bundespräsidenten. Eva bekommt Dankes-Postkarten aus Peru und China. Die Näherei, der Marktjob, all das füllt den Tag, doch ihre Seele füllt es nach zehn, zwölf Jahren irgendwann nicht mehr aus.
Nun beginnt das „dunkle Kapitel“, wie Teo es nennt. Eva trinkt zu viel Rotwein und ist nicht bereit, Hilfe anzunehmen. Früher konnte sie das noch. Sie igelt sich ein, lässt niemanden mehr an sich heran, auch nicht Teo. Solange es die Märkte gab, ging es irgendwie. Mit dem Corona-Lockdown verliert sie diesen letzten Halt. Dass sie Schmerzen hat und krank wird, eine Lungenentzündung, behält sie für sich. Daran stirbt sie schließlich und hinterlässt viele Menschen, die sich fragen, was sie hätten tun können. Karl Grünberg
Eine Kindheit in Norddeutschland, ein Kaff an der Ostsee. Steif und streng ging es zu Hause zu. Eva versuchte, mit den Widerworten dagegen zu halten. Eine Zwillingsschwester hatte sie, noch eine Schwester und zwei ältere Brüder. Ihr Vater starb früh und überließ der Mutter ein großes Haus, eine Schneiderei mit 40 Angestellten und vielen Großaufträgen. Gejammert oder geklagt wurde nicht. Probleme wurden gemeistert, Schwächen waren unerlaubt.
Die Mutter hatte kaum noch Zeit. Erst gab es ein gemütliches Dienstmädchen, das Eva ein bisschen von der Liebe gab, die sie vermisste. Später mussten Eva und ihre Schwester mehrere Jahre bei der Tante wohnen. Verhärmt war die und griesgrämig und außerdem noch Lehrerin an Evas Schule. Kein Entkommen. Als Eva später ihrem Mann Teo davon erzählte, weinte sie. Tatsächlich lag unter der lauten Frechheit etwas sehr Sensibles und Verletzliches. Eva konnte stundenlang nachgrübeln und sich Gesagtes und Getanes zu Herzen nehmen. Ihre Freundin Gabi erinnert sich, wie sie zusammen mit Eva und ihrer Tochter die Mutter besuchte, Oma-Urlaub an der Ostsee, und sie erschrocken war von dem distanzierten Tochter-Mutter-Verhältnis. Als Jugendliche ging Eva für zwei Jahre auf einen Bio-Bauernhof. Das tat ihr gut.
1980 kam Eva nach Berlin. Wo sie auftauchte, im Germanistikseminar, auf Partys, zog sie die Aufmerksamkeit auf sich. Mit den Männern flirtete sie selbstbewusst und sagte ihnen, wo es lang ging. Sie pflegte durchaus auch mehrere Liebschaften gleichzeitig. „Eva war von uns Freundinnen immer die erste in allem“, sagt Gabi. Auch die erste, die schwanger wurde, da war sie 20. Mit dem Vater war es ein Drama. Freundinnen holten Eva aus der Beziehung und aus der Wohnung. Warum sie es nicht selbst schaffte? Die Liebesbedürftige wollte wohl die Hoffnung nicht aufgeben.
Mit ihrer Tochter zog Eva in eine riesige Wohngemeinschaft in der Fasanenstraße. Hier passten sie gegenseitig auf die Kinder auf. Mit dem Germanistikstudium lief es nicht so gut. Es gab dann den Moment, als sie die Tochter in die Kita gebracht hatte, dann wiedermal zu spät vor dem Seminarraum stand, die Hand auf der Klinke, und sich dann doch umdrehte und ging.
Sie arbeitete in einem Puppentheater und in einer Jugendmedienwerkstatt mit taffen Kids. Taff sah sie selbst auch aus, die Haare auf der einen Seite abrasiert. Die Halbstarken in der Werkstatt hatte sie schnell im Griff. Eine Freundin riet ihr, sich an der Filmhochschule zu bewerben. 18 Plätze gab es und tausend Bewerbungen. Erst mit einer Fotogeschichte, in der nächsten Stufe mit einem Kurzfilm, den sie in fünf Tagen drehen und schneiden musste. In Evas Film ging es um Männer als einsame Wölfe. Dann sollte sie eine Theaterszene auf einer Probebühne mit Schauspielern inszenieren. Dann noch das Auswahlgespräch - und Eva war drin!
So ein Regie-Studium ist nervenaufreibend. Mehr Praxis als Theorie, die vielen Filme, die sie während des Studiums drehen müssen. Drehbuch schreiben, Crew zusammenstellen, drehen, schneiden, jedes Projekt dauert Wochen, Monate. Das Leben in einer Blase, in der es um nichts als den Film geht. Doch Eva hat Lust und Energie, sie mobilisiert alle Kräfte, nicht nur die eigenen. Ihre Tochter nimmt sie überall hin mit. Der Abschlussfilm handelt von einem Mann, der seine Frau an einer Tankstelle vergisst. Eine bissige Geschichte, die auf Festivals läuft, hochgelobt und ausgezeichnet. Was für ein Start!
Teo ist Dozent. Sie schreibt eine vernichtende Kritik über einen seiner Filme. Schließlich sitzt sie an einem Kneipenabend auf seinem Schoß. Er: „Wenn du mich weiter bedrängst, fall' ich ihn Ohnmacht.“ Sie: „Dann fall doch.“ Der Stuhl fällt um, quetscht ihren Finger ein. Krankenhaus, Verband, sie kann sich noch nicht einmal alleine ausziehen und muss natürlich mit zu ihm.
Ihm gefällt, dass sie so gerne lacht und andere zum Lachen bringt, dass Small Talk ihr verhasst ist. Sie heiraten im Rathaus Schöneberg, Freunde spielen vor der Tür Dudelsack, andere werfen Filmrollenschnipsel, die Party feiern sie auf einem Dampfer, der bis in die Nacht den Landwehrkanal rauf und runter fährt.
Film und Gleichberechtigung - ein Problem. Wenig Frauen führen Regie, Jobs und die Förderungen verteilen Männer untereinander. Eva arbeitete als Regieassistentin, wird weiterempfohlen, hat mehr Angebote als Zeit. Aber stets als Assistentin der Männer. Sie schreibt Drehbücher und Exposés. Aber es wird nie mehr daraus. Eva ist frustriert. Sie und Assistenz, das passt einfach nicht! Sie macht einen Cut. Schluss mit der Filmwelt, Neustart.
Sie näht, erst Klamottensets für Puppen, dann Kindersachen und schließlich kommt sie auf die Idee mit den Taschen. Ihre Tochter braucht eine Federtasche für die Schule, Eva hat keinen passenden Stoff da, aber viele Reißverschlüsse. Die näht sie zusammen, und fertig ist ihre erste Reißverschluss-Tasche. Die erste von vielen tausend. Sie richtet sich eine Werkstatt ein, stellt Helferinnen ein und verbringt Zeit auf den Kunstmärkten, 14 Mal hat sie einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt. „Nun bin ich wohl ein Marktweib, aber das ist okay“, sagte sie. Und strahlt. Die Leute mögen sie, kaufen bei ihr, Schauspielerinnen, Touristen, die Frau eines Bundespräsidenten. Eva bekommt Dankes-Postkarten aus Peru und China. Die Näherei, der Marktjob, all das füllt den Tag, doch ihre Seele füllt es nach zehn, zwölf Jahren irgendwann nicht mehr aus.
Nun beginnt das „dunkle Kapitel“, wie Teo es nennt. Eva trinkt zu viel Rotwein und ist nicht bereit, Hilfe anzunehmen. Früher konnte sie das noch. Sie igelt sich ein, lässt niemanden mehr an sich heran, auch nicht Teo. Solange es die Märkte gab, ging es irgendwie. Mit dem Corona-Lockdown verliert sie diesen letzten Halt. Dass sie Schmerzen hat und krank wird, eine Lungenentzündung, behält sie für sich. Daran stirbt sie schließlich und hinterlässt viele Menschen, die sich fragen, was sie hätten tun können. Karl Grünberg