Nachruf auf Giorgio Rocchi (* am 4. Juli 1958)
Was für ein schöner Mensch, seufzten ältere Damen und jüngere, schwule Männer und auch solche, die sich noch nie in die Arme eines Mannes gewünscht hatten. Himmel und Hölle stritten um Giorgio, wunderschön wie er war, und so hielten sich Kummer und Glück in seinem Leben von früh auf die Waage.
Was für ein herziges Kind, Giorgio, das Lockenköpfchen. Die Mutter wird sehr geweint haben, als sie ihn weggab ins Kinderheim, denn der Vater wollte ihn nicht, der Großvater verbat sich eine alleinerziehende Frau in der Familie, und die Kirche verwehrte einem solchen Kind ohnehin den Segen. Apulien in den 60er Jahren, das waren herzlose Zeiten zuweilen, wäre da nicht la familia gewesen, der Zusammenhalt der Frauen, und so fand sich eine Pflegemutter, die nahm Giorgio auf, und der Zufall wollte es, dass sie im selben Haus lebte wie Giorgios Mutter, und so war seine Kindheit wieder glücklich, bis sie einen neuen Vater für ihn fand. Auch der ein großer Egoist und Macho, und so verließ sie ihn mit Giorgio nach einigen Jahren, nur einen Zettel ließen sie auf dem Küchentisch zurück. „Wir gehen für immer. Der Hund hat gefressen.“
Giorgio war schwul, das wusste er schon früh, auch dass sein Großvater ihn dafür verfluchen würde, aber er fand viele Freunde in Perugia während seines Studiums, verliebte sich in London, zog weiter nach Berlin, wo er seine Heimat fand. Er studierte, fuhr Taxi, fand eine Anstellung am Italienischen Kulturinstitut und hätte sich im Einerlei des Alltags verlieren können. Aber seine Sehnsucht war die Bühne, seine Hoffnung war es, sich von dieser inneren Last befreien zu können, diesem Alb, als Kind nicht erwünscht gewesen zu sein. Er hatte seinen Vater aufgesucht, aber der hatte sich die Störung seines neuen Familienglücks verbeten. Giorgio litt, ein Schatten, der auf seiner Seele lag, ein Tick ging daraus hervor, ein unwillkürliches Hicksen, das ihn um so mehr plagte, je unverständiger die Menschen darauf reagierten, aber das taten die wenigsten. Denn Giorgio fehlten viele schlechte Eigenschaften, kein wirkliches Laster verdarb seinen Charakter. Er war kein egomanisches Partybiest, das in den Clubs die Diskokugel zum Schmelzen brachte. Er mochte Frauen wie Männer gleichermaßen, „eigentlich bin ich bisexuell“, betonte er, „nur mag ich Männer ein bisschen lieber“. Er konnte wunderbar kochen, und er war ein sehr aufmerksamer Zuhörer, der seinem Gegenüber stets das Gefühl gab, ein besonderer Mensch zu sein.
Der ganz besondere Mensch, der allein für ihn da war, fand sich allerdings nie. Vielleicht scheute Giorgio auch davor zurück, aus Angst wieder zurückgestoßen zu werden. Vielleicht wollte er sich einem anderen Menschen nicht zumuten, so ganz und gar. Denn er war krank gewesen, Aids, in den 90er Jahren, ein einziger Kontakt hatte genügt. Die Medikamente hatten ihm schwer zugesetzt, aber er war genesen, körperlich. Karate hatte ihm geholfen, er war stark, konnte sich wehren, trug den Schwarzen Gürtel mit Stolz. Doch seelisch fand er erst sein Gleichgewicht, als er das Improvisationstheater für sich entdeckte. Schauspielerei als Überlebenstechnik. Wer improvisieren kann, vermag noch die unmöglichsten Zumutungen im Spiel unschädlich zu machen. Dafür braucht es viele Talente. Giorgio konnte gut singen, das hatte ihm Nina beigebracht, die italienische Diva, deren CDs er liebte und zahlreich verschenkte. Er konnte gut schauspielern, nicht umsonst war er Jahr für Jahr zur Berlinale gegangen, des Glamours, aber mehr noch seiner Träume wegen, die er dort auf der Leinwand wiederfand. Zu seinem Schauspieltalent und zur guten Stimme kam das Gespür, auf der Bühne die feinsten Regungen seiner Mitspieler wahrnehmen zu können, um sich ihnen augenblicklich anzuverwandeln. Das gab ihm endlich die Freiheit, der Giorgio zu sein, der in jedem Augenblick Herr seiner selbst war, weil er allein entschied, wann er sich anderen hingab. Und natürlich schmeichelte der Applaus seinem Ego,
Er ging frühzeitig in Rente, um all seine Lebenszeit der Bühne widmen zu können, aber da kein Teufel neidlos an ihm vorüberging, erhielt er die Diagnose ALS, kaum da er sich hatte freistellen lassen. Sein Entschluss stand früh fest, er wollte nicht bettlägerig sein, kein Pflegefall, keine Last für andere. Nie mehr Kind. Was Unsinn war, wie seine Freunde beteuerten, und die Schar seiner Cousins und Cousinen, die ihn immer wieder besuchten. Auch seine Mutter versprach, ihm zur Seite zu stehen, aber wenige Wochen, nachdem er seinen Befund erhalten hatte, wurde auch sie schwer krank. Wieder einmal entzog sie sich ihm. Der Kreis, so sein erstes verbittertes Urteil, schloss sich wie nach der Geburt so hielt sie sich auch vor dem Tod fern von ihm. Aber dieses Gefühl hielt nicht an. Er bat vier seiner Freunde, mit ihm die letzten Monate durchzustehen. Was nicht einfach war, denn so charmant er auftrat, so sturköpfig konnte er sein, wenn es darum ging, all das auszuschlagen, was ihm das Leben mit zunehmenden Schwund der Körperkontrolle erleichtert hätte.
Ein Jahr, nachdem er die Diagnose erhalten hatte, ging er ins Hospiz. Er wollte sich zu Tode fasten. Die letzten Wochen waren frohe Wochen, denn es fanden sich viele Freunde ein. Draußen auf der Terrasse saßen sie, und das war seine Familie, die er da um sich versammelt hatte. Was sie alle verband, una passione autentica, ein Gefühl der Zugehörigkeit, wenn keiner sich stärker zeigt, als er ist.
Die Wut über den bitteren Schicksalsspruch schwand langsam. Giorgio hatte die Kraft, seine Zerbrechlichkeit anzunehmen. „Es tut so gut, dass du weinst“, gestand er einem Freund. Und er mochte es, nach anfänglichem Zögern, von seiner liebsten Freundin manikürt zu werden. Die Eitelkeit stirbt zuletzt, scherzte er. Und die Sehnsucht, umsorgt zu werden. Seine Mutter hatte in den letzten Monaten nicht mehr nach ihm gefragt, und er nicht nach ihr. Wenige Wochen nach seinem Tod starb auch sie. Die Sehnsucht zueinander hatte beide nie verlassen.
Giorgios Asche wird verstreut, irgendwo am Meer, nicht weit von Rom, so sein Wunsch, und wann immer zwei Liebende am Strand dort lachen, ist er der Dritte im Bunde. Gregor Eisenhauer
Was für ein herziges Kind, Giorgio, das Lockenköpfchen. Die Mutter wird sehr geweint haben, als sie ihn weggab ins Kinderheim, denn der Vater wollte ihn nicht, der Großvater verbat sich eine alleinerziehende Frau in der Familie, und die Kirche verwehrte einem solchen Kind ohnehin den Segen. Apulien in den 60er Jahren, das waren herzlose Zeiten zuweilen, wäre da nicht la familia gewesen, der Zusammenhalt der Frauen, und so fand sich eine Pflegemutter, die nahm Giorgio auf, und der Zufall wollte es, dass sie im selben Haus lebte wie Giorgios Mutter, und so war seine Kindheit wieder glücklich, bis sie einen neuen Vater für ihn fand. Auch der ein großer Egoist und Macho, und so verließ sie ihn mit Giorgio nach einigen Jahren, nur einen Zettel ließen sie auf dem Küchentisch zurück. „Wir gehen für immer. Der Hund hat gefressen.“
Giorgio war schwul, das wusste er schon früh, auch dass sein Großvater ihn dafür verfluchen würde, aber er fand viele Freunde in Perugia während seines Studiums, verliebte sich in London, zog weiter nach Berlin, wo er seine Heimat fand. Er studierte, fuhr Taxi, fand eine Anstellung am Italienischen Kulturinstitut und hätte sich im Einerlei des Alltags verlieren können. Aber seine Sehnsucht war die Bühne, seine Hoffnung war es, sich von dieser inneren Last befreien zu können, diesem Alb, als Kind nicht erwünscht gewesen zu sein. Er hatte seinen Vater aufgesucht, aber der hatte sich die Störung seines neuen Familienglücks verbeten. Giorgio litt, ein Schatten, der auf seiner Seele lag, ein Tick ging daraus hervor, ein unwillkürliches Hicksen, das ihn um so mehr plagte, je unverständiger die Menschen darauf reagierten, aber das taten die wenigsten. Denn Giorgio fehlten viele schlechte Eigenschaften, kein wirkliches Laster verdarb seinen Charakter. Er war kein egomanisches Partybiest, das in den Clubs die Diskokugel zum Schmelzen brachte. Er mochte Frauen wie Männer gleichermaßen, „eigentlich bin ich bisexuell“, betonte er, „nur mag ich Männer ein bisschen lieber“. Er konnte wunderbar kochen, und er war ein sehr aufmerksamer Zuhörer, der seinem Gegenüber stets das Gefühl gab, ein besonderer Mensch zu sein.
Der ganz besondere Mensch, der allein für ihn da war, fand sich allerdings nie. Vielleicht scheute Giorgio auch davor zurück, aus Angst wieder zurückgestoßen zu werden. Vielleicht wollte er sich einem anderen Menschen nicht zumuten, so ganz und gar. Denn er war krank gewesen, Aids, in den 90er Jahren, ein einziger Kontakt hatte genügt. Die Medikamente hatten ihm schwer zugesetzt, aber er war genesen, körperlich. Karate hatte ihm geholfen, er war stark, konnte sich wehren, trug den Schwarzen Gürtel mit Stolz. Doch seelisch fand er erst sein Gleichgewicht, als er das Improvisationstheater für sich entdeckte. Schauspielerei als Überlebenstechnik. Wer improvisieren kann, vermag noch die unmöglichsten Zumutungen im Spiel unschädlich zu machen. Dafür braucht es viele Talente. Giorgio konnte gut singen, das hatte ihm Nina beigebracht, die italienische Diva, deren CDs er liebte und zahlreich verschenkte. Er konnte gut schauspielern, nicht umsonst war er Jahr für Jahr zur Berlinale gegangen, des Glamours, aber mehr noch seiner Träume wegen, die er dort auf der Leinwand wiederfand. Zu seinem Schauspieltalent und zur guten Stimme kam das Gespür, auf der Bühne die feinsten Regungen seiner Mitspieler wahrnehmen zu können, um sich ihnen augenblicklich anzuverwandeln. Das gab ihm endlich die Freiheit, der Giorgio zu sein, der in jedem Augenblick Herr seiner selbst war, weil er allein entschied, wann er sich anderen hingab. Und natürlich schmeichelte der Applaus seinem Ego,
Er ging frühzeitig in Rente, um all seine Lebenszeit der Bühne widmen zu können, aber da kein Teufel neidlos an ihm vorüberging, erhielt er die Diagnose ALS, kaum da er sich hatte freistellen lassen. Sein Entschluss stand früh fest, er wollte nicht bettlägerig sein, kein Pflegefall, keine Last für andere. Nie mehr Kind. Was Unsinn war, wie seine Freunde beteuerten, und die Schar seiner Cousins und Cousinen, die ihn immer wieder besuchten. Auch seine Mutter versprach, ihm zur Seite zu stehen, aber wenige Wochen, nachdem er seinen Befund erhalten hatte, wurde auch sie schwer krank. Wieder einmal entzog sie sich ihm. Der Kreis, so sein erstes verbittertes Urteil, schloss sich wie nach der Geburt so hielt sie sich auch vor dem Tod fern von ihm. Aber dieses Gefühl hielt nicht an. Er bat vier seiner Freunde, mit ihm die letzten Monate durchzustehen. Was nicht einfach war, denn so charmant er auftrat, so sturköpfig konnte er sein, wenn es darum ging, all das auszuschlagen, was ihm das Leben mit zunehmenden Schwund der Körperkontrolle erleichtert hätte.
Ein Jahr, nachdem er die Diagnose erhalten hatte, ging er ins Hospiz. Er wollte sich zu Tode fasten. Die letzten Wochen waren frohe Wochen, denn es fanden sich viele Freunde ein. Draußen auf der Terrasse saßen sie, und das war seine Familie, die er da um sich versammelt hatte. Was sie alle verband, una passione autentica, ein Gefühl der Zugehörigkeit, wenn keiner sich stärker zeigt, als er ist.
Die Wut über den bitteren Schicksalsspruch schwand langsam. Giorgio hatte die Kraft, seine Zerbrechlichkeit anzunehmen. „Es tut so gut, dass du weinst“, gestand er einem Freund. Und er mochte es, nach anfänglichem Zögern, von seiner liebsten Freundin manikürt zu werden. Die Eitelkeit stirbt zuletzt, scherzte er. Und die Sehnsucht, umsorgt zu werden. Seine Mutter hatte in den letzten Monaten nicht mehr nach ihm gefragt, und er nicht nach ihr. Wenige Wochen nach seinem Tod starb auch sie. Die Sehnsucht zueinander hatte beide nie verlassen.
Giorgios Asche wird verstreut, irgendwo am Meer, nicht weit von Rom, so sein Wunsch, und wann immer zwei Liebende am Strand dort lachen, ist er der Dritte im Bunde. Gregor Eisenhauer