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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Nachruf auf Alexandra Voytenko (* am 3. November 1964)

Für die Familie war sie Alex. Alex, die alle mitriss, der nie der Enthusiasmus abhandenkam, auch wenn die Dinge nicht zum Besten standen. Bei ihr liefen die Fäden zusammen.
Sie war die Älteste von zwei Geschwistern, eine Berlinerin aus Friedenau. Ihre Eltern, das Ehepaar Ziehe, nahmen sie oft mit in die Deutsche Oper, sie lernte Ballett und Blockflöte, Letzterer blieb sie lebenslang treu. Als Jugendliche begann sie mit dem Weben, sie ließ sich darin ausbilden an der Hochschule der Künste und sollte später auch ihr Geld damit verdienen. Mit dem Abitur kündigte sich ihr erstes Kind an, Sophia.
In den Achtzigern tauchte Alex tief ein in die Ököbewegung, war Stammkundin in den neuen Bioläden rund um den Winterfeldtplatz und hatte ein Faible fürs Russische. Die Musik, die Seele, die Kultur. Weil ihre Tochter an Asthma litt, zog sie aufs Land nach Schleswig-Holstein, brachte Sohn Jakob dort zur Welt und machte das Weben zum Beruf. Ein paar Jahre später lebte sie in Nordrhein-Westfalen, bekam noch Tochter Laura und arbeitete als Sozialtherapeutin und Heilerzieherin.
1995 kehrte sie nach Berlin zurück, alleinerziehend mit drei Kindern. Das Pensum schreckte sie nicht; Alex hatte schier unendliche Kraft. In der alten Heimat sattelte sie erneut beruflich um, Bürodienstleistungen bot sie nun an: Schreibarbeiten und Buchhaltung. Und an der Wuhlheide fand sie ihr Traumhaus, Blick auf die Spree. Sie suchte gerade einen Liegeplatz für ein altes Bauhüttenschiff, eine Art Bauwagen auf dem Wasser, das sie unbedingt haben wollte und aus Koblenz nach Berlin gebracht hatte.
Nun also zog das Frontstadtkind in den Osten, das Haus an der Spree brauchte ihren ganzen Einsatz, vor allem aber brauchte es einen Kredit, denn es war ein Sanierungsfall. Bei der Zwangsversteigerung war sie die einzige Bieterin, peu-à-peu und meist in Eigenregie würde sie es wieder herrichten. Mit ihrem Lebensgefährten Hermann Josef, den sie 2005 in Kreuzberg kennengelernt hatte, mit ihren Kindern, mit allen Helfern, die sich so fanden. „Villa Sadowa“ soll das Prachtstück einst geheißen haben, jetzt nannten sie es wieder so. Betritt man es heute, öffnet sich herrschaftlicher Wohnraum, voll bestückt mit den Schätzen einer begierigen Sammlerin: In Schränken, Vitrinen, Regalen, riesigen Spielzeughäusern sitzen ihre Puppen. Spielzeug aus den Jahren 1850 bis 1950 wurde ihre Leidenschaft, die viel Zeit und Engagement verschlang. Schon ihre Mutter hatte Puppen gesammelt.
Viele Wochenenden und Urlaubstage verbrachte sie mit Flohmarktbesuchen auf der Jagd nach neuen Exponaten. Und die Familie wurde immer einbezogen. „Sie hatte ein Radar für Fundstellen“, erzählen sie. „Wenn man durchs dunkle Helsinki fuhr, hieß es plötzlich: ,Fahr mal da rüber, in den Laden muss ich rein! Jede neue Stadt und das Internet wurden abgescannt nach neuen Beutestücken. Sie gründete den Verein „Historisches Spielzeug Berlin“, kämpfte für ein Museum, trat dafür sogar in die SPD ein. Aus der Parteiarbeit zog sie sich wieder zurück, weil sie mit ihren Ideen nicht durchkam, aber für ihre Sammlung und den Verein war sie weiter unterwegs, schaffte es in die Lokalnachrichten, bediente sich der sozialen Medien. Andere Leidenschaftliche führte sie durch ihre Räume und ließ sie den Einfallsreichtum früherer Spielzeughersteller bestaunen.
Auch die Familie forderte Zeit ein. Mit den Enkeln Clara und Caspar spielte sie, mit ihrer Tochter Sophia betrieb sie Fastenwandern; Rohkostwandern mit Hermann Josef. Zu ihrem 50. Geburtstag stieg sie im Himalaya auf dem Annapurna-Trek 5400 Meter hoch. Mit Sina, ihrem sibirischen Husky-Weibchen, fuhr sie Schlittenrennen. Sina büxte gern aus. Nach ihrem Tod stellte Alexandra die Asche im Wohnzimmer auf einem Sims. Als die Urne von dort eines Tages kurzfristig verschwunden war, hieß es: „Sina ist wieder stiften gegangen!“
Ein Leben voller Baustellen, gewollten und ungewollten, und über allem der Wille und die Zuversicht für ein zufriedenes, erfülltes Leben. Der Brustkrebs und schließlich eine Hirnblutung setzten die unerwarteten Stoppzeichen. Hinten, zwischen der Sadowa-Villa und der Spree, blüht sich dieser Tage ein Rosenstock das Leben aus der Seele. Eine Hommage an seine Pflanzerin, die ihn einst mitbrachte vom Hamburger Fischmarkt, ganz klein und ohne Knospen. Judka Strittmatter