Nachruf auf Peter Hollinger (* am 11. November 1954)
Es kam vor, dass er während eines Konzerts von der Bühne ging und sich ins Publikum setzte. Das war nicht einstudiert. Das war Peter pur. Der nahm sich Freiheit, wo andere sie nicht vermuteten, beulte sie aus und strapazierte und dehnte sie bis an die Schmerzgrenze.
Besser noch, als ihn zu hören, sah man Peter Hollinger zu. Schlaksig hinter seinem Schlagzeug, bisschen düster, wuscheliges Haar: Peters Punk brauchte keinen Dresscode, er war in sich, für sich selbst genug.
Peter wuchs in Zweibrücken auf, Rheinland Pfalz, die Mutter unterhielt als Schneidermeisterin ein Geschäft, der Vater führte eine Firma für Klimatechnik. Sie hatten eine Vorstellung davon, wie das Leben ihres Sohnes verlaufen sollte: Ingenieurstudium, anschließend Übernahme des Betriebes. Die Mutter, so erzählte Peter, legte ihm bis in die Pubertät hinein die Garderobe für den Tag bereit. Freundschaften, die den Eltern nicht passten, wurden beendet, bis fast niemand übrig und Peter oft alleine blieb. Er trieb sich draußen rum, lernte zu schätzen, dass keiner ihm vorschrieb, was zu tun und was zu lassen war.
Der erste Bruch mit den Eltern passierte, da war er langhaarige 15. Ein Gammler in ihren Augen. Und der Nachbar sprach: Wäre das mein Sohn, ich hätte ihn an die Wand gestellt.
Peter sagte, sie hätten ihn rausgeworfen, sie sagten, er sei fortgelaufen. Jedenfalls brachte die Polizei ihn zurück. Mit 18, kurz vor dem Abitur, zog er aus. Er fand die Freiheit, die er nie wieder hergeben wollte, er fand die Musik - und irgendwann den Weg nach Berlin, Kreuzberg natürlich.
Anfang der 80er wurde er Teil eines Trios, das sich „Uludag“ nannte, nach dem Berg in der Türkei: experimentelle, anarchische Rockmusik. Peter und sein Bandkollege Werner Cee waren begeistert von außereuropäischen Klängen und Rhythmen, sammelten Platten und Aufnahmen in Stadtbibliotheken und werweißwo. Sie versuchten, sich in türkische Hochzeiten reinzumogeln, was ihnen gelegentlich gelang, trotz der langen Haare.
Cee besorgte sich eine Langhalslaute, Peter eine türkische Handtrommel. Was sie spielten, nannten sie „falsche Folklore“, denn ihnen war klar, dass sie von dieser Musik noch viel zu wenig wussten. Auf Schrottplätzen sammelte Peter Dinge, die ihm als Schlagwerk dienen konnten.
Noch immer existieren kistenweise Audiokassetten von ihren Improvisationen, weil sie die grundsätzlich aufnahmen, um die interessantesten Stellen herauszusuchen, eben das, was sie vielleicht nochmal spielen sollten. Nie orientierten sie sich am Mainstream, der interessierte sie nicht. Bei Konzerten anderer konnte Peter es nicht ausstehen, wenn auf der Bühne einer eitel war, wenn er zeigte, wie gut er etwas einstudiert hatte.
Musik und Leben waren verwoben. Was sich woraus speiste? Unklar. Da war zum Beispiel seine „Koffersuite“, bei der für die Zuschauenden nicht ganz eindeutig war, wann die Performance begann und die Musik endete - oder anders herum. Peter schleppte dafür alles Mögliche heran: Spielzeug, Radkappen, Töpfe, Gewehrpatronen. Bedingung war, dass es in einen altmodischen Koffer mit metallenen Ecken und Nieten passte. Auf einem abgerockten Teppich arrangierte er die Gegenstände mit größter Ruhe und Lässigkeit, immer wieder unterbrochen vom Zigarettendrehen und Biertrinken. Ach, da saß ja schon Publikum. Na denn.
Im Internet ist eine Tonaufnahme der „Koffersuite“ zu finden. 31 Minuten und 34 Sekunden Trommeln, Klopfen, Schaben, ausgesprochen rhythmisch, doch nichts klingt nach gewöhnlichem Schlagzeug. „Räudig“ ist ein Wort, das Kritiker für Peters Spiel fanden, „unnachahmbar“ ein anderes.
Der Kulturmanager Matthias Osterwold erinnert sich, wie er die „Koffersuite“ Mitte der 80er Jahre im besetzten KuKuCK, dem Kunst- und Kulturcentrum Kreuzberg in der Anhalter Straße, sah und hörte; wie er sofort begeistert war von diesem charismatischen Typen und seiner Musik. „Wenn er das spielte, war er ganz bei sich.“ Osterwold hatte gerade mit anderen zusammen den Verein „Freunde Guter Musik Berlin“ gegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, neue Musik hör- und sichtbarer zu machen. Peter verdiente seiner Ansicht nach beides: gehört und gesehen zu werden.
Manchmal half Osterwold, den „verdammt schweren“ Koffer zu Auftritten zu schleppen, die er arrangiert hatte, und bei denen niemand vorher wusste, was geschehen würde. 50 Minuten Performance oder zehn? Gute Laune oder schlechte?
Das Zusammenleben, die Zusammenarbeit mit Peter war immer intensiv und immer begrenzt. Irgendwann kam es zu Meinungsverschiedenheiten, oder Peters Kompromisslosigkeit stand allem Weiteren im Weg. Unter den Formationen, in denen er spielte, hatte eine länger Bestand: die Ost-West Combo „Slawterhaus“. Die meisten anderen fanden und verloren sich. Wie „Platzlinger“, das Duo, das Peter 1986 mit dem damals 17-jährigen Hans Platzgumer aus Innsbruck gründete. Die beiden tourten wenige Jahre, bis es ihnen zu eng, zu viel, zu doll miteinander wurde.
Hans Platzgumer spricht von „Holli“. Einer, von dem man bei seiner Ruppigkeit glaubte, er würde reichlich hassen, und der doch erstaunlich viel liebte: Van Halen, Neneh Cherry, Borussia Dortmund, Licher Bier, Wannenbäder, Hackepeter, Milchkaffee im „Café Jenseits“. „Er rauchte eine Selbstgedrehte nach der anderen und schlief meist in seinen Straßenkleidern, nur die Schuhe zog er aus.“
Anfang der 80er besetzte Peter mit anderen ein Haus in der Adalbertstraße. Er hätte sich gern beteiligt, als sie das Haus der Wohnungsbaugesellschaft abkauften. Doch auf Geld seiner Eltern brauchte er dafür nicht zu hoffen, sie verwehrten ihm auch später sein Erbe. So wurde er zum Mieter und Bewohner einer Künstler-WG.
Auf Berühmtheit pfiff Peter, doch die Anerkennung von Musikern, die er schätzte, bedeutete ihm viel. Als er 1993 im österreichischen Wels ein renommiertes Festival organisierte, folgten viele Improvisationsmusiker der Einladung. Konsequenterweise trug das Festival den Titel „hollingern“.
Er erkrankte an Arthritis, die ihm erst das Schleppen seiner Instrumente erschwerte und schließlich das Musizieren allgemein. Er litt an Hüftdysplasie, Schlagzeugeralptraum. Manche sagen, er sei schon vor der Krankheit sonderbar geworden. Oder fiel ihnen jetzt nur auf, dass er es schon immer gewesen war? Peter zog sich zurück.
Seine Wohnung, zwei Eingänge, teilte er sich in den letzten 15 Jahren mit einer Musiker-Familie. Sie bewohnten den größeren Teil, er zwei Zimmer mit Bad, wo auch sein Kühlschrank stand und er auf zwei Platten kochte. Er sammelte, sorgfältig geordnet, alles, was ihm wichtig war: selbst gebaute Instrumente, Naturmaterialien, aus denen er kleine Landschaften bastelte. „Die Wohnung bin ich, ich bin die Wohnung“, pflegte er zu sagen. So wie er mit seiner Musik verwoben gewesen war, war er es nun mit diesen 60 Quadratmetern. Er verließ sie selten.
Der ersten Räumungsklage der Wohnungseigentümerin gab das Gericht nicht statt. Wegen eines psychiatrischen Gutachtens wurde der Termin um drei Monate verschoben, dann noch einmal. Aber kein drittes Mal.
„Bevor ich hier raus muss, hänge ich mich auf.“ Das war Peters Standpunkt, das erzählte er den Nachbarn, das wusste jeder im Haus. Man war besorgt, doch was sollte man tun? Peter Hollinger war kein Mann für Kompromisse. Katja Demirci
Besser noch, als ihn zu hören, sah man Peter Hollinger zu. Schlaksig hinter seinem Schlagzeug, bisschen düster, wuscheliges Haar: Peters Punk brauchte keinen Dresscode, er war in sich, für sich selbst genug.
Peter wuchs in Zweibrücken auf, Rheinland Pfalz, die Mutter unterhielt als Schneidermeisterin ein Geschäft, der Vater führte eine Firma für Klimatechnik. Sie hatten eine Vorstellung davon, wie das Leben ihres Sohnes verlaufen sollte: Ingenieurstudium, anschließend Übernahme des Betriebes. Die Mutter, so erzählte Peter, legte ihm bis in die Pubertät hinein die Garderobe für den Tag bereit. Freundschaften, die den Eltern nicht passten, wurden beendet, bis fast niemand übrig und Peter oft alleine blieb. Er trieb sich draußen rum, lernte zu schätzen, dass keiner ihm vorschrieb, was zu tun und was zu lassen war.
Der erste Bruch mit den Eltern passierte, da war er langhaarige 15. Ein Gammler in ihren Augen. Und der Nachbar sprach: Wäre das mein Sohn, ich hätte ihn an die Wand gestellt.
Peter sagte, sie hätten ihn rausgeworfen, sie sagten, er sei fortgelaufen. Jedenfalls brachte die Polizei ihn zurück. Mit 18, kurz vor dem Abitur, zog er aus. Er fand die Freiheit, die er nie wieder hergeben wollte, er fand die Musik - und irgendwann den Weg nach Berlin, Kreuzberg natürlich.
Anfang der 80er wurde er Teil eines Trios, das sich „Uludag“ nannte, nach dem Berg in der Türkei: experimentelle, anarchische Rockmusik. Peter und sein Bandkollege Werner Cee waren begeistert von außereuropäischen Klängen und Rhythmen, sammelten Platten und Aufnahmen in Stadtbibliotheken und werweißwo. Sie versuchten, sich in türkische Hochzeiten reinzumogeln, was ihnen gelegentlich gelang, trotz der langen Haare.
Cee besorgte sich eine Langhalslaute, Peter eine türkische Handtrommel. Was sie spielten, nannten sie „falsche Folklore“, denn ihnen war klar, dass sie von dieser Musik noch viel zu wenig wussten. Auf Schrottplätzen sammelte Peter Dinge, die ihm als Schlagwerk dienen konnten.
Noch immer existieren kistenweise Audiokassetten von ihren Improvisationen, weil sie die grundsätzlich aufnahmen, um die interessantesten Stellen herauszusuchen, eben das, was sie vielleicht nochmal spielen sollten. Nie orientierten sie sich am Mainstream, der interessierte sie nicht. Bei Konzerten anderer konnte Peter es nicht ausstehen, wenn auf der Bühne einer eitel war, wenn er zeigte, wie gut er etwas einstudiert hatte.
Musik und Leben waren verwoben. Was sich woraus speiste? Unklar. Da war zum Beispiel seine „Koffersuite“, bei der für die Zuschauenden nicht ganz eindeutig war, wann die Performance begann und die Musik endete - oder anders herum. Peter schleppte dafür alles Mögliche heran: Spielzeug, Radkappen, Töpfe, Gewehrpatronen. Bedingung war, dass es in einen altmodischen Koffer mit metallenen Ecken und Nieten passte. Auf einem abgerockten Teppich arrangierte er die Gegenstände mit größter Ruhe und Lässigkeit, immer wieder unterbrochen vom Zigarettendrehen und Biertrinken. Ach, da saß ja schon Publikum. Na denn.
Im Internet ist eine Tonaufnahme der „Koffersuite“ zu finden. 31 Minuten und 34 Sekunden Trommeln, Klopfen, Schaben, ausgesprochen rhythmisch, doch nichts klingt nach gewöhnlichem Schlagzeug. „Räudig“ ist ein Wort, das Kritiker für Peters Spiel fanden, „unnachahmbar“ ein anderes.
Der Kulturmanager Matthias Osterwold erinnert sich, wie er die „Koffersuite“ Mitte der 80er Jahre im besetzten KuKuCK, dem Kunst- und Kulturcentrum Kreuzberg in der Anhalter Straße, sah und hörte; wie er sofort begeistert war von diesem charismatischen Typen und seiner Musik. „Wenn er das spielte, war er ganz bei sich.“ Osterwold hatte gerade mit anderen zusammen den Verein „Freunde Guter Musik Berlin“ gegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, neue Musik hör- und sichtbarer zu machen. Peter verdiente seiner Ansicht nach beides: gehört und gesehen zu werden.
Manchmal half Osterwold, den „verdammt schweren“ Koffer zu Auftritten zu schleppen, die er arrangiert hatte, und bei denen niemand vorher wusste, was geschehen würde. 50 Minuten Performance oder zehn? Gute Laune oder schlechte?
Das Zusammenleben, die Zusammenarbeit mit Peter war immer intensiv und immer begrenzt. Irgendwann kam es zu Meinungsverschiedenheiten, oder Peters Kompromisslosigkeit stand allem Weiteren im Weg. Unter den Formationen, in denen er spielte, hatte eine länger Bestand: die Ost-West Combo „Slawterhaus“. Die meisten anderen fanden und verloren sich. Wie „Platzlinger“, das Duo, das Peter 1986 mit dem damals 17-jährigen Hans Platzgumer aus Innsbruck gründete. Die beiden tourten wenige Jahre, bis es ihnen zu eng, zu viel, zu doll miteinander wurde.
Hans Platzgumer spricht von „Holli“. Einer, von dem man bei seiner Ruppigkeit glaubte, er würde reichlich hassen, und der doch erstaunlich viel liebte: Van Halen, Neneh Cherry, Borussia Dortmund, Licher Bier, Wannenbäder, Hackepeter, Milchkaffee im „Café Jenseits“. „Er rauchte eine Selbstgedrehte nach der anderen und schlief meist in seinen Straßenkleidern, nur die Schuhe zog er aus.“
Anfang der 80er besetzte Peter mit anderen ein Haus in der Adalbertstraße. Er hätte sich gern beteiligt, als sie das Haus der Wohnungsbaugesellschaft abkauften. Doch auf Geld seiner Eltern brauchte er dafür nicht zu hoffen, sie verwehrten ihm auch später sein Erbe. So wurde er zum Mieter und Bewohner einer Künstler-WG.
Auf Berühmtheit pfiff Peter, doch die Anerkennung von Musikern, die er schätzte, bedeutete ihm viel. Als er 1993 im österreichischen Wels ein renommiertes Festival organisierte, folgten viele Improvisationsmusiker der Einladung. Konsequenterweise trug das Festival den Titel „hollingern“.
Er erkrankte an Arthritis, die ihm erst das Schleppen seiner Instrumente erschwerte und schließlich das Musizieren allgemein. Er litt an Hüftdysplasie, Schlagzeugeralptraum. Manche sagen, er sei schon vor der Krankheit sonderbar geworden. Oder fiel ihnen jetzt nur auf, dass er es schon immer gewesen war? Peter zog sich zurück.
Seine Wohnung, zwei Eingänge, teilte er sich in den letzten 15 Jahren mit einer Musiker-Familie. Sie bewohnten den größeren Teil, er zwei Zimmer mit Bad, wo auch sein Kühlschrank stand und er auf zwei Platten kochte. Er sammelte, sorgfältig geordnet, alles, was ihm wichtig war: selbst gebaute Instrumente, Naturmaterialien, aus denen er kleine Landschaften bastelte. „Die Wohnung bin ich, ich bin die Wohnung“, pflegte er zu sagen. So wie er mit seiner Musik verwoben gewesen war, war er es nun mit diesen 60 Quadratmetern. Er verließ sie selten.
Der ersten Räumungsklage der Wohnungseigentümerin gab das Gericht nicht statt. Wegen eines psychiatrischen Gutachtens wurde der Termin um drei Monate verschoben, dann noch einmal. Aber kein drittes Mal.
„Bevor ich hier raus muss, hänge ich mich auf.“ Das war Peters Standpunkt, das erzählte er den Nachbarn, das wusste jeder im Haus. Man war besorgt, doch was sollte man tun? Peter Hollinger war kein Mann für Kompromisse. Katja Demirci