Nachruf auf Angelika v.
Was eine Familie ist und für den Einzelnen bedeutet, was sie über Generationen hinweg an Glück und an Unglück hervorzubringen vermag, das wird gern an den „Buddenbrooks“ exemplifiziert. Aber der Niedergang dieser Lübecker Kaufmannsfamilie, der sich in nur vier Generationen vollendete, ist zum einen eine eher traurige Geschichte und zum anderen erfunden. Die Familiengeschichte der Mendelssohns hingegen bietet Stoff für Dutzende Romane, aber nur wenige davon wurden erzählt. Zumindest Moses Mendelssohn, der Stammvater, ist dank seines Freundes Lessing noch in Erinnerung als „Nathan der Weise“, als Philosoph und Aufklärer, der die „Toleranzpflicht“ gegenüber allen Religionen beschwor und das Recht eines jeden auf Selbsterfüllung, denn alle Menschen taugen zum Glück.
Angelika war sich dieses Erbes früh bewusst. Geboren in der siebten Generation konnte sie in der Ahnengalerie der Familie Porträts bedeutender Musiker und Bankiers bewundern, Bildnisse von Forschern und Künstlerinnen, Dandys und Diven. In der Grunewalder Villa des Großvaters hatte sich Kaiser Willhelm II. der Saga nach Nutzen und Gebrauch einer Badewanne erläutern lassen und Albert Einstein die Kinder mit seinem Geigenspiel verschreckt. Als die Nazis einen Großteil des Immobilienbesitzes „arisierten“, zog sich die Familie auf ein Landgut nach Schwaben zurück. Im Lauf der Jahre suchten mehr und mehr Verwandte auf dem „Georgenhof“ Zuflucht. Manch einer kam vorgeblich nur zum Tee vorbei und blieb für Jahre. Ein großes Haus, in dem debattiert und musiziert wurde, wobei das Wenige, was der nationalsozialistische Verwalter der Familie an Lebensmitteln ließ, von der Mutter sehr sorgsam eingeteilt werden musste. Die Mutter war es auch, die sich mit der Gestapo anlegte und in den ersten Wirren der Befreiung den Schutz der französischen Besatzungsmacht vor marodierenden Banden erbat.
Was Stärke ist und was Schwäche, war für Angelika nie eine Frage des Geschlechts, sondern des Selbstvertrauens. Und wer sich selbst vertraut, kennt keinen Dünkel. Sie ging auf die Dorfschule und dann nach Salem, auf jenes berühmte Internat also, wo mehr Wert auf Charakterbildung als auf Notengebung gelegt wird, was Angelika sehr entgegenkam. In Darmstadt studierte sie zunächst Architektur, dann Latein und Französisch in Heidelberg. Sie wurde Lehrerin und zog nach Berlin, wo sie in einer Gesamtschule im Märkischen Viertel unterrichtete. Was sie gern tat, aber auf Dauer war ihr die ummauerte Insel der Selbstzufriedenen dann doch zu klein.
Sie fand in Christian den richtigen Mann für neue Abenteuer. Sie heiratete ihn, nicht zuletzt, weil er jünger war, was den beidseitigen Elan in guter Balance hielt. Er ging in den diplomatischen Dienst, und sie war die Frau an seiner Seite, ohne je in seinem Schatten zu stehen. Als ein Kollege ihres Mannes sie necken wollte: „Es heißt, die schönste Frau auf dem diplomatischen Parkett sei die des Schweizer Botschafters“, korrigierte sie nonchalant: „Das kann nicht sein, die schönste Botschaftergattin bin doch ich.“
Hin und wieder war sie gern Grande Dame, glänzte mit wertvollen Stücken des Familienschmucks, ließ andere zuweilen auf ihren Auftritt warten und überging dann deren Klagen mit einem „Jeder nach seiner Façon“.
Kaviar und Kohlrabi, beides hatte Platz auf ihrem Esstisch, um den sie gern interessante Menschen versammelte, wo auch immer sie auf ihrer diplomatischen Weltreise Station machten. In der Türkei lernte sie Türkisch, in China Chinesisch, und wenn sie auch nicht immer die politischen Differenzen zwischen den Menschen zu überwinden vermochte, so versuchte sie zumindest keine Sprachlosigkeit aufkommen zu lassen. Der Literarische Salon war ihr Ideal und Marcel Proust der ideale Gastgeber, virtuell, denn er lehrte, dass die Suche nach Wissen im Gespräch eine viel amüsantere ist als im Monolog der Schreibstube. Wo auch immer sie war, suchte sie gute Gesellschaft.
In New York war das einfach, dorthin waren viele Verwandte vor den Nazis geflohen, in Aserbaidschan, der letzten Station der diplomatischen Karriere ihres Mannes, stellte sich das herausfordernder dar. Was sie nicht schreckte - sie konnte sehr unvorsichtig sein, sehr draufgängerisch. Als die Polizei ihr in Jugendjahren einmal den Führerschein eines leichten Schwipses wegen abnahm, winkte sie lässig ab: „Macht doch nichts, ich habe zu Hause noch einen.“
Nach dem Ende des diplomatischen Dienstes zogen sie und Christian nach Berlin zurück in eine Wohnung, die in musealer Manier einige der wenigen geretteten Möbelstücke und Gemälde aus dem großväterlichen Haus versammelte. Aber nicht allein der Besitz verband sie mit ihrer Geschichte, es waren die Briefe, die sie an Verwandte in der ganzen Welt verschickte. Dass die so weit verstreuten Mendelssohns sich immer wieder als eine große Familie begriffen, war nicht zuletzt ihr Verdienst, denn mit den Briefen hielt sie alle auf dem Laufenden, was die kleinen und großen familiären Geschehnisse anbelangte. Sie hatte immer schon gern Briefe erhalten, in der Jugend bevorzugt Liebesbriefe, die sie noch im Alter sorgsam aufbewahrte. Denn die Männer, die sie seinerzeit zum Schreiben ermuntert hatte, waren ja alle auf ihre Art sehr interessante Menschen gewesen. Etwas Besonderes aus dem Leben zu machen, das war die stille Übereinkunft mit all den Freunden und Freundinnen, die sie in ihren Kreis zog.
Sie liebte Kino, Kammermusik und die kleinen Rituale des Genießens, sei es im adretten „Manzini“ oder leger bei den „Drei Schwestern“ in Kreuzberg. Wenn ihr die Stadt zu viel wurde, zog sie sich in die französische Provinz zurück, in die Dordogne, wo sie sich einem ganz anderen Zeitvertreib widmete, der Buchbinderei, was letztlich auch eine Technik des Zusammenhaltens ist, nicht unähnlich der Kunst der Geselligkeit.
80 Jahre war sie voller Elan, dann plötzlich erwiesen sich die vermeintlich harmlosen Schluckbeschwerden als Symptom einer Krebserkrankung, die sie nicht besiegen konnte. In kurzer Zeit wurde sie schwach. Als die Medikamente abgesetzt wurden, antwortete sie auf besorgte Nachfragen: „Das wäre es jetzt.“
Sie haderte nicht mit ihrem Schicksal, denn ihr Ende war nicht das der Familie. Was sie weitergab an Lebensfreude, wollte sie ja nie zurück, sie wollte es vermehrt wissen im Lächeln derer, die sich ihrer erinnern. Gregor Eisenhauer
Angelika war sich dieses Erbes früh bewusst. Geboren in der siebten Generation konnte sie in der Ahnengalerie der Familie Porträts bedeutender Musiker und Bankiers bewundern, Bildnisse von Forschern und Künstlerinnen, Dandys und Diven. In der Grunewalder Villa des Großvaters hatte sich Kaiser Willhelm II. der Saga nach Nutzen und Gebrauch einer Badewanne erläutern lassen und Albert Einstein die Kinder mit seinem Geigenspiel verschreckt. Als die Nazis einen Großteil des Immobilienbesitzes „arisierten“, zog sich die Familie auf ein Landgut nach Schwaben zurück. Im Lauf der Jahre suchten mehr und mehr Verwandte auf dem „Georgenhof“ Zuflucht. Manch einer kam vorgeblich nur zum Tee vorbei und blieb für Jahre. Ein großes Haus, in dem debattiert und musiziert wurde, wobei das Wenige, was der nationalsozialistische Verwalter der Familie an Lebensmitteln ließ, von der Mutter sehr sorgsam eingeteilt werden musste. Die Mutter war es auch, die sich mit der Gestapo anlegte und in den ersten Wirren der Befreiung den Schutz der französischen Besatzungsmacht vor marodierenden Banden erbat.
Was Stärke ist und was Schwäche, war für Angelika nie eine Frage des Geschlechts, sondern des Selbstvertrauens. Und wer sich selbst vertraut, kennt keinen Dünkel. Sie ging auf die Dorfschule und dann nach Salem, auf jenes berühmte Internat also, wo mehr Wert auf Charakterbildung als auf Notengebung gelegt wird, was Angelika sehr entgegenkam. In Darmstadt studierte sie zunächst Architektur, dann Latein und Französisch in Heidelberg. Sie wurde Lehrerin und zog nach Berlin, wo sie in einer Gesamtschule im Märkischen Viertel unterrichtete. Was sie gern tat, aber auf Dauer war ihr die ummauerte Insel der Selbstzufriedenen dann doch zu klein.
Sie fand in Christian den richtigen Mann für neue Abenteuer. Sie heiratete ihn, nicht zuletzt, weil er jünger war, was den beidseitigen Elan in guter Balance hielt. Er ging in den diplomatischen Dienst, und sie war die Frau an seiner Seite, ohne je in seinem Schatten zu stehen. Als ein Kollege ihres Mannes sie necken wollte: „Es heißt, die schönste Frau auf dem diplomatischen Parkett sei die des Schweizer Botschafters“, korrigierte sie nonchalant: „Das kann nicht sein, die schönste Botschaftergattin bin doch ich.“
Hin und wieder war sie gern Grande Dame, glänzte mit wertvollen Stücken des Familienschmucks, ließ andere zuweilen auf ihren Auftritt warten und überging dann deren Klagen mit einem „Jeder nach seiner Façon“.
Kaviar und Kohlrabi, beides hatte Platz auf ihrem Esstisch, um den sie gern interessante Menschen versammelte, wo auch immer sie auf ihrer diplomatischen Weltreise Station machten. In der Türkei lernte sie Türkisch, in China Chinesisch, und wenn sie auch nicht immer die politischen Differenzen zwischen den Menschen zu überwinden vermochte, so versuchte sie zumindest keine Sprachlosigkeit aufkommen zu lassen. Der Literarische Salon war ihr Ideal und Marcel Proust der ideale Gastgeber, virtuell, denn er lehrte, dass die Suche nach Wissen im Gespräch eine viel amüsantere ist als im Monolog der Schreibstube. Wo auch immer sie war, suchte sie gute Gesellschaft.
In New York war das einfach, dorthin waren viele Verwandte vor den Nazis geflohen, in Aserbaidschan, der letzten Station der diplomatischen Karriere ihres Mannes, stellte sich das herausfordernder dar. Was sie nicht schreckte - sie konnte sehr unvorsichtig sein, sehr draufgängerisch. Als die Polizei ihr in Jugendjahren einmal den Führerschein eines leichten Schwipses wegen abnahm, winkte sie lässig ab: „Macht doch nichts, ich habe zu Hause noch einen.“
Nach dem Ende des diplomatischen Dienstes zogen sie und Christian nach Berlin zurück in eine Wohnung, die in musealer Manier einige der wenigen geretteten Möbelstücke und Gemälde aus dem großväterlichen Haus versammelte. Aber nicht allein der Besitz verband sie mit ihrer Geschichte, es waren die Briefe, die sie an Verwandte in der ganzen Welt verschickte. Dass die so weit verstreuten Mendelssohns sich immer wieder als eine große Familie begriffen, war nicht zuletzt ihr Verdienst, denn mit den Briefen hielt sie alle auf dem Laufenden, was die kleinen und großen familiären Geschehnisse anbelangte. Sie hatte immer schon gern Briefe erhalten, in der Jugend bevorzugt Liebesbriefe, die sie noch im Alter sorgsam aufbewahrte. Denn die Männer, die sie seinerzeit zum Schreiben ermuntert hatte, waren ja alle auf ihre Art sehr interessante Menschen gewesen. Etwas Besonderes aus dem Leben zu machen, das war die stille Übereinkunft mit all den Freunden und Freundinnen, die sie in ihren Kreis zog.
Sie liebte Kino, Kammermusik und die kleinen Rituale des Genießens, sei es im adretten „Manzini“ oder leger bei den „Drei Schwestern“ in Kreuzberg. Wenn ihr die Stadt zu viel wurde, zog sie sich in die französische Provinz zurück, in die Dordogne, wo sie sich einem ganz anderen Zeitvertreib widmete, der Buchbinderei, was letztlich auch eine Technik des Zusammenhaltens ist, nicht unähnlich der Kunst der Geselligkeit.
80 Jahre war sie voller Elan, dann plötzlich erwiesen sich die vermeintlich harmlosen Schluckbeschwerden als Symptom einer Krebserkrankung, die sie nicht besiegen konnte. In kurzer Zeit wurde sie schwach. Als die Medikamente abgesetzt wurden, antwortete sie auf besorgte Nachfragen: „Das wäre es jetzt.“
Sie haderte nicht mit ihrem Schicksal, denn ihr Ende war nicht das der Familie. Was sie weitergab an Lebensfreude, wollte sie ja nie zurück, sie wollte es vermehrt wissen im Lächeln derer, die sich ihrer erinnern. Gregor Eisenhauer