Nachruf auf Gerda Templiner (* am 20. Dezember 1926)
Die DDR hielt Ehen zusammen, die DDR zerriss Ehen. Die Ehe der Templiners hielt sie zusammen und zerriss sie zugleich. Das Private im Politischen, das Politische im Privaten. Gerda und Heyko wollten weg, immer schon, vor dem Mauerbau, nach dem Mauerbau.
Sie lernten sich Ende der 40er während der Arbeit im Bezirksamt Lichtenberg kennen und heirateten 1950. Nichts Ungewöhnliches. Sie würden das Leben der meisten anderen Paare leben, eine Wohnung einrichten, ein bisschen verreisen und natürlich Kinder bekommen. Aber die Leute um Gerda, die ein bisschen was von ihr wussten, unkten: „Du kriegst keene Kinder.“ Gerda war nach dem Krieg mehrmals von sowjetischen Soldaten vergewaltigt worden. Die Nachbarn im Haus hatten ihr dann irgendwann geholfen, hatten ihr Gesicht mit Ruß beschmiert und sie im Keller versteckt. Gesprochen wurde darüber in den folgenden Jahren nicht. Das Grauen schob man lange Zeit stillschweigend beiseite.
Ihr Vater, der starb, als sie zwei war, hatte für die SPD im Bezirksamt gesessen. Ihre Mutter war, wenn ihnen auf der Straße SA-Männer entgegengekommen waren, mit ihr in einen Hausflur gelaufen, um nicht den Hitlergruß machen zu müssen.
Nach der achten Klasse begann Gerda eine kaufmännische Lehre bei der „Telegraphen Bau-Anstalt von Siemens & Halske“, dem Gründungsunternehmen von Siemens, und half dort bisweilen einem holländischen Zwangsarbeiter, wusch seine Kleidung und besserte sie aus, sprach mit ihm, was streng verboten war. Jahrzehnte später besuchte sie ihn in den Niederlanden, und er sagte: „Eigentlich empfange ich keine Deutschen. Nur dich, Gerda.“
Das Geunke der Leute erwies sich dann als Unsinn: Sie bekam zusammen mit Heyko Kinder, Erhard und Eckhard. Und eines wollte sie immer: aufhören zu arbeiten und bei ihren Söhnen zu Hause bleiben, für sie da sein. „Sie war eine richtige italienische Mama“, erzählt Erhard. Obwohl sie blond, blauäugig, üppig war, eher eine Germania.
Heyko fand, obwohl er nicht in der Partei war, hervorragende Anstellungen, zunächst im Ministerium für Schwermaschinenbau, dann im Amt für Patentwesen, das Familienleben lief. Und dennoch wollten sie weg. Über den genauen Zeitpunkt aber konnten sie sich nicht einigen. Heyko wollte seine Eltern nicht allein zurücklassen. Es ging hin und her, sofort gehen, noch bleiben, erste Anzeichen der Zermürbung zeigten sich.
Dann wurde ihnen auf jähe Weise die Entscheidung abgenommen. Die Staatssicherheit trat auf den Plan. 1963 verhaftete man beide. Heyko wegen „Verächtlichmachung der Republik und Spionage“, Gerda wegen „Mitwisserschaft“.
Es war gang und gäbe, auch noch viele Jahre nach Stalins Tod, an den Haaren herbeigezogene Anklagen zu formulieren. In diesem Fall jedoch schien an dem Spionagevorwurf etwas dran zu sein. Vielleicht hatte Heyko für den BND gearbeitet, es gab Hinweise darauf, aber letztlich wusste es Gerda nicht, auch nicht Jahrzehnte später. Heyko sprach darüber nicht.
Sein Urteil lautete: sieben Jahre Haft, ihres dreieinhalb, das halbe Jahr ein Extrabonus, weil sie, wie ihr Sohn es ausdrückt, „wie immer ihre Klappe nicht halten konnte“. Im Gerichtssaal hatte sie den Männern in ihren Roben zugerufen: „Sie sind wie Litschifrüchte: außen rot und innen weiß!“ Ob die Herren wussten, was Litschis sind, ist nicht überliefert. Vater und Mutter also landeten im Gefängnis, die Söhne kamen zu den Großeltern.
Gerdas Mutter erkrankte an Krebs. Während eines Verhörs erkundigte sie sich nach ihr. Der Vernehmer sagte: „Wat, ihre Mutter? Die is' schon unter der Erde.“ Gerda brach zusammen.
1964 wurden Gerda und Heyko wegen einer Amnestie vorzeitig entlassen. Heyko, bekennender Christ, fand Arbeit in der Verwaltung der Paul-Gerhardt-Kirche in Prenzlauer Berg. Die Auseinandersetzungen zwischen ihm und Gerda verflüchtigten sich jedoch nicht, der Haussegen hing immer schiefer.
Einerseits kündigte sich das Ende ihrer Ehe an. Andererseits hielten sie fest an dem gemeinsamen Ziel, das Land zu verlassen. Sie wussten, dass sie es nur zusammen schaffen würden.
Sie gingen zum Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, der als Unterhändler beim Häftlingsfreikauf zwischen Ost und West agierte. Er sagte: „Sie kommen erst jetzt? Sie sind doch frei. Da wird das schwierig.“
1971 wurde Heyko wieder verhaftet. Sein Sohn erzählt: „Ich kam nach Hause, die Wohnung war durchwühlt und meine Mutter saß zitternd im Bett.“ Das Urteil dieses Mal: neun Jahre Bautzen.
Nun wurde Wolfgang Vogel aktiv; 1973 durfte Heyko in den Westen, ein Jahr darauf auch der Rest der Familie.
Und endlich gab es keinen Grund mehr, dass Gerda und Heyko ein Paar blieben. Sie trennten sich.
Gerda bezog eine kleine Wohnung in Westend. Mit Männern wollte sie zeitlebens nichts mehr zu tun haben. Mit ihren Enkeln umso mehr. Mit jedem Kind unternahm sie eine Reise, auf einem Kreuzfahrtschiff nach Italien, einem Frachtschiff nach Schweden, nach Mallorca. Sie zeigte ihnen das Gefängnis in Hohenschönhausen (Heyko führte sie durch Bautzen), sie erzählte von der schweren Küchenarbeit, der Infamie der Stasileute, davon, dass sie seit damals nicht mehr bei geschlossener Tür schlafen konnte.
Sie ging einmal in der Woche auf den Markt, lud Freunde und Familie zu sich ein, hörte Berliner Lieder, probierte ab und an einen alten Tanzschritt aus, sorgte, bis sie 92 war, ganz und gar für sich selbst.
Dann kamen die gesundheitlichen Probleme. Sie konnte nicht mehr laufen, die Beine schmerzten zu sehr. Sie ärgerte sich, sie litt unter der erzwungenen Unselbstständigkeit. Das letzte Jahr lag sie nur noch. Fürchtete sich vor dem Krankenhaus, vor den geschlossenen Türen. Sie sagte: „Ich möchte eigentlich nicht mehr.“ Tatjana Wulfert
Sie lernten sich Ende der 40er während der Arbeit im Bezirksamt Lichtenberg kennen und heirateten 1950. Nichts Ungewöhnliches. Sie würden das Leben der meisten anderen Paare leben, eine Wohnung einrichten, ein bisschen verreisen und natürlich Kinder bekommen. Aber die Leute um Gerda, die ein bisschen was von ihr wussten, unkten: „Du kriegst keene Kinder.“ Gerda war nach dem Krieg mehrmals von sowjetischen Soldaten vergewaltigt worden. Die Nachbarn im Haus hatten ihr dann irgendwann geholfen, hatten ihr Gesicht mit Ruß beschmiert und sie im Keller versteckt. Gesprochen wurde darüber in den folgenden Jahren nicht. Das Grauen schob man lange Zeit stillschweigend beiseite.
Ihr Vater, der starb, als sie zwei war, hatte für die SPD im Bezirksamt gesessen. Ihre Mutter war, wenn ihnen auf der Straße SA-Männer entgegengekommen waren, mit ihr in einen Hausflur gelaufen, um nicht den Hitlergruß machen zu müssen.
Nach der achten Klasse begann Gerda eine kaufmännische Lehre bei der „Telegraphen Bau-Anstalt von Siemens & Halske“, dem Gründungsunternehmen von Siemens, und half dort bisweilen einem holländischen Zwangsarbeiter, wusch seine Kleidung und besserte sie aus, sprach mit ihm, was streng verboten war. Jahrzehnte später besuchte sie ihn in den Niederlanden, und er sagte: „Eigentlich empfange ich keine Deutschen. Nur dich, Gerda.“
Das Geunke der Leute erwies sich dann als Unsinn: Sie bekam zusammen mit Heyko Kinder, Erhard und Eckhard. Und eines wollte sie immer: aufhören zu arbeiten und bei ihren Söhnen zu Hause bleiben, für sie da sein. „Sie war eine richtige italienische Mama“, erzählt Erhard. Obwohl sie blond, blauäugig, üppig war, eher eine Germania.
Heyko fand, obwohl er nicht in der Partei war, hervorragende Anstellungen, zunächst im Ministerium für Schwermaschinenbau, dann im Amt für Patentwesen, das Familienleben lief. Und dennoch wollten sie weg. Über den genauen Zeitpunkt aber konnten sie sich nicht einigen. Heyko wollte seine Eltern nicht allein zurücklassen. Es ging hin und her, sofort gehen, noch bleiben, erste Anzeichen der Zermürbung zeigten sich.
Dann wurde ihnen auf jähe Weise die Entscheidung abgenommen. Die Staatssicherheit trat auf den Plan. 1963 verhaftete man beide. Heyko wegen „Verächtlichmachung der Republik und Spionage“, Gerda wegen „Mitwisserschaft“.
Es war gang und gäbe, auch noch viele Jahre nach Stalins Tod, an den Haaren herbeigezogene Anklagen zu formulieren. In diesem Fall jedoch schien an dem Spionagevorwurf etwas dran zu sein. Vielleicht hatte Heyko für den BND gearbeitet, es gab Hinweise darauf, aber letztlich wusste es Gerda nicht, auch nicht Jahrzehnte später. Heyko sprach darüber nicht.
Sein Urteil lautete: sieben Jahre Haft, ihres dreieinhalb, das halbe Jahr ein Extrabonus, weil sie, wie ihr Sohn es ausdrückt, „wie immer ihre Klappe nicht halten konnte“. Im Gerichtssaal hatte sie den Männern in ihren Roben zugerufen: „Sie sind wie Litschifrüchte: außen rot und innen weiß!“ Ob die Herren wussten, was Litschis sind, ist nicht überliefert. Vater und Mutter also landeten im Gefängnis, die Söhne kamen zu den Großeltern.
Gerdas Mutter erkrankte an Krebs. Während eines Verhörs erkundigte sie sich nach ihr. Der Vernehmer sagte: „Wat, ihre Mutter? Die is' schon unter der Erde.“ Gerda brach zusammen.
1964 wurden Gerda und Heyko wegen einer Amnestie vorzeitig entlassen. Heyko, bekennender Christ, fand Arbeit in der Verwaltung der Paul-Gerhardt-Kirche in Prenzlauer Berg. Die Auseinandersetzungen zwischen ihm und Gerda verflüchtigten sich jedoch nicht, der Haussegen hing immer schiefer.
Einerseits kündigte sich das Ende ihrer Ehe an. Andererseits hielten sie fest an dem gemeinsamen Ziel, das Land zu verlassen. Sie wussten, dass sie es nur zusammen schaffen würden.
Sie gingen zum Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, der als Unterhändler beim Häftlingsfreikauf zwischen Ost und West agierte. Er sagte: „Sie kommen erst jetzt? Sie sind doch frei. Da wird das schwierig.“
1971 wurde Heyko wieder verhaftet. Sein Sohn erzählt: „Ich kam nach Hause, die Wohnung war durchwühlt und meine Mutter saß zitternd im Bett.“ Das Urteil dieses Mal: neun Jahre Bautzen.
Nun wurde Wolfgang Vogel aktiv; 1973 durfte Heyko in den Westen, ein Jahr darauf auch der Rest der Familie.
Und endlich gab es keinen Grund mehr, dass Gerda und Heyko ein Paar blieben. Sie trennten sich.
Gerda bezog eine kleine Wohnung in Westend. Mit Männern wollte sie zeitlebens nichts mehr zu tun haben. Mit ihren Enkeln umso mehr. Mit jedem Kind unternahm sie eine Reise, auf einem Kreuzfahrtschiff nach Italien, einem Frachtschiff nach Schweden, nach Mallorca. Sie zeigte ihnen das Gefängnis in Hohenschönhausen (Heyko führte sie durch Bautzen), sie erzählte von der schweren Küchenarbeit, der Infamie der Stasileute, davon, dass sie seit damals nicht mehr bei geschlossener Tür schlafen konnte.
Sie ging einmal in der Woche auf den Markt, lud Freunde und Familie zu sich ein, hörte Berliner Lieder, probierte ab und an einen alten Tanzschritt aus, sorgte, bis sie 92 war, ganz und gar für sich selbst.
Dann kamen die gesundheitlichen Probleme. Sie konnte nicht mehr laufen, die Beine schmerzten zu sehr. Sie ärgerte sich, sie litt unter der erzwungenen Unselbstständigkeit. Das letzte Jahr lag sie nur noch. Fürchtete sich vor dem Krankenhaus, vor den geschlossenen Türen. Sie sagte: „Ich möchte eigentlich nicht mehr.“ Tatjana Wulfert