Nachruf auf Hans Wendt (* am 14. Februar 1941)
Sein Vater war ein harter Mann. Seine Mutter kaum weicher. Der Vater hatte in zwei Weltkriegen gedient, preußisch unbeirrt, zuletzt als Oberstabsarzt an der Ostfront, aber über die Gräuel dort sprach er nie. Lautstark hingegen schimpfte er über die jugendlichen Revoluzzer, in der Sorge, sein Sohn könnte sich ihnen anschließen. „Wir haben alles aufgebaut nach dem Krieg“, erinnerte er seinen Sohn stolz. „Ihr habt ja auch vorher alles kaputt gemacht“, gab der trotzig zurück.
Es waren lieblose Zeiten. Im Sommerlager wurde ein Bettnässer in die Sonne gestellt mit dem feuchten Laken über dem Kopf, bis es trocken war. Schlechte Tischmanieren galten als strafwürdige Vergehen. Und wenn sich Würmer in den Himbeeren fanden, mussten auch die hinuntergeschluckt werden. „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“
Als seine Tanzstundenfreundin Moni noch vor ihrem Abitur schwanger geworden war, sprach der Vater eine Woche lang kein Wort mit seinem Sohn. Die Mutter wiederum flehte Hans auf den Knien an, das alles noch einmal zu überdenken.
Hans weigerte sich. Er heiratete Moni, kirchlich, ließ schöne Bilder von der Hochzeit machen und zog nach Heidelberg, um Medizin zu studieren, ganz nach dem Willen des Vaters. Aber schon nach der Zwischenprüfung wechselte er nach Berlin. Er holte Moni und Sohn Malte nach und suchte für die kleine Familie eine Wohnung in Moabit. Vermieterin: „Sind Sie solvent?“ - Hans: „Nein, ich bin Hans Wendt.“ Tochter Nina wurde geboren, und Hans wollte ein schöneres Zuhause für alle. Mit Gleichgesinnten gründete er eine Wohngemeinschaft in einer baufälligen Villa nahe dem Schlachtensee. Sieben Erwachsene, sieben Kinder, und nicht immer waren sie leicht zu unterscheiden. Ein alberner Haufen. Eine wilde Zeit. Zuweilen zu wild für die Kinder, die sich die Zuordnung der Erziehungsberechtigten ein wenig verbindlicher gewünscht hätten.
Hans war der Macher in der Gemeinschaft, er baute und bastelte, er nähte Klamotten, er malerte und zeichnete, saß selten still. Wenigstens die Hände mussten in Bewegung bleiben.
Nach einigen Jahren zerfiel die WG, die freie Liebe trieb die Paare auseinander. Eine der Frauen, Ilse, die für Nina wie eine zweite Mutter gewesen war, erhängte sich. Darüber wurde nicht viel gesprochen. Hans und Moni aber blieben zusammen, auch wenn er sich mehr Freiheiten herausnahm als sie sich selbst. Er machte sein Examen in Medizin, arbeitete eine Zeit lang im Gefängniskrankenhaus Moabit und fand dann eine Anstellung im Pharmakonzern Schering, Abteilung Humanversuche. Hautcremes wurden getestet, Kosmetika erprobt. Goldene Zeiten. Kongresse in aller Welt, Spesenabrechnungen, die großzügig geprüft wurden. Hans war beliebt bei den Kollegen und gefürchtet bei den Chefs, zu eigensinnig. Zehn Jahre hielt er durch. Als Dankeschön für seinen freiwilligen Abschied finanzierte ihm die Firma die dermatologische Facharztausbildung. Er konnte endlich seine eigene Praxis eröffnen, prominente Lage, prominente Patienten, auf die er stolz war. Was ihn nicht hinderte, über den Seiteneingang Junkies in die Praxis zu lotsen, die er mit Methadon versorgte, lange bevor das in der Suchthilfe Standard wurde.
Hans gründete eine neue Wohngemeinschaft in Nikolassee, ein heruntergekommenes Altenheim, das er gekauft hatte, weil es viel zu reparieren gab. Sohn Moritz wurde geboren. Hans war ein guter Vater, er hatte Geduld, gab gern sein handwerkliches Wissen weiter, erwartete dafür aber auch grenzenlose Bewunderung. Damit kam seine Tochter nicht zurecht. Sie hielt sich zunehmend fern von ihm. Gerade weil er alles besser konnte. Weil es immer nur um ihn ging, und er jedes Gespräch an sich riss. Er hingegen empfand sie als undankbar. Wo er doch alles für ein schönes Zuhause tat. Und für ein zweites und ein drittes.
Da war das Ferienhaus seiner Eltern bei Hameln, das er erbte, weil seine Eltern nur ihm zutrauten, dass er sich gut kümmern würde. Dann das kleine Kapitänshaus auf Elba, wo viel getan werden musste, bis es so weit hergerichtet war, dass auch Freunde und Bekannte sich dort wohlfühlten.
Und in Schweden hatte er schon vor Jahren mit Freunden ein großes Grundstück in Småland erworben. Während die anderen dort nackt über die Wiesen hüpften, baute Hans den Kindern kleine Segelboote, schreinerte sich selbst ein Schwedenhaus, sah, dass es gut war, zog zufrieden an seiner Zigarre und prostete sich zu: Hans im Glück.
Ein Lebenstempo, das Moni eines Tages nicht mehr mitgehen konnte. Sie erlitt einen Schlaganfall, konnte nicht mehr als Lehrerin arbeiten, ihr Wesen hatte sich verändert, aber Hans hielt zu ihr. Kein Abschieben in die Reha-Klinik, er wusste besser, was zu tun war und lotste sie nach Elba, um das Glück vergangener Tage wachzurufen.
Fünf Jahre nach ihr traf es ihn, Schlaganfall, er verweigerte jeden ärztlichen Rat, was die Rehabilitation anging. Er wollte sein Leben zurück, ging wieder in die Praxis - und verkaufte sie dann doch. Sein Selbstvertrauen war geschwunden. „Lass doch deinen Sohn fahren!“ Der Lastwagenfahrer auf der Avus hatte die Scheibe heruntergekurbelt und brüllte Richtung Limousine. So langsam war Hans dahingeschlichen. Auch das Bauen ging nicht mehr so leicht von der Hand, alles wurde schiefer, unausgeführte Projekte, aber das würde alles noch werden, da war er sich sicher. Er malte Aquarelle, das brachte die Träume zurück, und er hielt sich und Moni von Menschen fern, denn die erinnerten nur an das Leben, das sie nicht mehr führen konnten.
Die letzten Jahre verbrachten die beiden viel Zeit im Weserbergland, in dem kleinen Wochenendhaus, wo er vor sich hin werkelte und sie sich um den großen Garten kümmerte. Alles schien gut, da kollabierte Hans erneut, Hirnblutung. Er kam ins Krankenhaus, wurde operiert, aber mehr Sorgen machte das Herz. Er musste ins Pflegeheim, die Söhne durften nicht zu ihm, Corona. Den Tod seiner Tochter erfuhr er auf Zuruf. Sie war ertrunken bei dem Versuch, ihren Freund zu retten, der vom Hausboot gefallen war, das Hans ihr gekauft hatte. Weil er ihr bis zuletzt ein schönes Zuhause hatte bieten wollen. So einfach ist es nicht, es allen recht zu machen. Doch ihm blieb ja noch Zeit für seine Frau, für seine Söhne, viel Zeit. Aber dann geschah das, was er sich selbst wohl nie hatte vorstellen können, sein rastloses Herz hörte einfach auf zu schlagen. Gregor Eisenhauer
Es waren lieblose Zeiten. Im Sommerlager wurde ein Bettnässer in die Sonne gestellt mit dem feuchten Laken über dem Kopf, bis es trocken war. Schlechte Tischmanieren galten als strafwürdige Vergehen. Und wenn sich Würmer in den Himbeeren fanden, mussten auch die hinuntergeschluckt werden. „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“
Als seine Tanzstundenfreundin Moni noch vor ihrem Abitur schwanger geworden war, sprach der Vater eine Woche lang kein Wort mit seinem Sohn. Die Mutter wiederum flehte Hans auf den Knien an, das alles noch einmal zu überdenken.
Hans weigerte sich. Er heiratete Moni, kirchlich, ließ schöne Bilder von der Hochzeit machen und zog nach Heidelberg, um Medizin zu studieren, ganz nach dem Willen des Vaters. Aber schon nach der Zwischenprüfung wechselte er nach Berlin. Er holte Moni und Sohn Malte nach und suchte für die kleine Familie eine Wohnung in Moabit. Vermieterin: „Sind Sie solvent?“ - Hans: „Nein, ich bin Hans Wendt.“ Tochter Nina wurde geboren, und Hans wollte ein schöneres Zuhause für alle. Mit Gleichgesinnten gründete er eine Wohngemeinschaft in einer baufälligen Villa nahe dem Schlachtensee. Sieben Erwachsene, sieben Kinder, und nicht immer waren sie leicht zu unterscheiden. Ein alberner Haufen. Eine wilde Zeit. Zuweilen zu wild für die Kinder, die sich die Zuordnung der Erziehungsberechtigten ein wenig verbindlicher gewünscht hätten.
Hans war der Macher in der Gemeinschaft, er baute und bastelte, er nähte Klamotten, er malerte und zeichnete, saß selten still. Wenigstens die Hände mussten in Bewegung bleiben.
Nach einigen Jahren zerfiel die WG, die freie Liebe trieb die Paare auseinander. Eine der Frauen, Ilse, die für Nina wie eine zweite Mutter gewesen war, erhängte sich. Darüber wurde nicht viel gesprochen. Hans und Moni aber blieben zusammen, auch wenn er sich mehr Freiheiten herausnahm als sie sich selbst. Er machte sein Examen in Medizin, arbeitete eine Zeit lang im Gefängniskrankenhaus Moabit und fand dann eine Anstellung im Pharmakonzern Schering, Abteilung Humanversuche. Hautcremes wurden getestet, Kosmetika erprobt. Goldene Zeiten. Kongresse in aller Welt, Spesenabrechnungen, die großzügig geprüft wurden. Hans war beliebt bei den Kollegen und gefürchtet bei den Chefs, zu eigensinnig. Zehn Jahre hielt er durch. Als Dankeschön für seinen freiwilligen Abschied finanzierte ihm die Firma die dermatologische Facharztausbildung. Er konnte endlich seine eigene Praxis eröffnen, prominente Lage, prominente Patienten, auf die er stolz war. Was ihn nicht hinderte, über den Seiteneingang Junkies in die Praxis zu lotsen, die er mit Methadon versorgte, lange bevor das in der Suchthilfe Standard wurde.
Hans gründete eine neue Wohngemeinschaft in Nikolassee, ein heruntergekommenes Altenheim, das er gekauft hatte, weil es viel zu reparieren gab. Sohn Moritz wurde geboren. Hans war ein guter Vater, er hatte Geduld, gab gern sein handwerkliches Wissen weiter, erwartete dafür aber auch grenzenlose Bewunderung. Damit kam seine Tochter nicht zurecht. Sie hielt sich zunehmend fern von ihm. Gerade weil er alles besser konnte. Weil es immer nur um ihn ging, und er jedes Gespräch an sich riss. Er hingegen empfand sie als undankbar. Wo er doch alles für ein schönes Zuhause tat. Und für ein zweites und ein drittes.
Da war das Ferienhaus seiner Eltern bei Hameln, das er erbte, weil seine Eltern nur ihm zutrauten, dass er sich gut kümmern würde. Dann das kleine Kapitänshaus auf Elba, wo viel getan werden musste, bis es so weit hergerichtet war, dass auch Freunde und Bekannte sich dort wohlfühlten.
Und in Schweden hatte er schon vor Jahren mit Freunden ein großes Grundstück in Småland erworben. Während die anderen dort nackt über die Wiesen hüpften, baute Hans den Kindern kleine Segelboote, schreinerte sich selbst ein Schwedenhaus, sah, dass es gut war, zog zufrieden an seiner Zigarre und prostete sich zu: Hans im Glück.
Ein Lebenstempo, das Moni eines Tages nicht mehr mitgehen konnte. Sie erlitt einen Schlaganfall, konnte nicht mehr als Lehrerin arbeiten, ihr Wesen hatte sich verändert, aber Hans hielt zu ihr. Kein Abschieben in die Reha-Klinik, er wusste besser, was zu tun war und lotste sie nach Elba, um das Glück vergangener Tage wachzurufen.
Fünf Jahre nach ihr traf es ihn, Schlaganfall, er verweigerte jeden ärztlichen Rat, was die Rehabilitation anging. Er wollte sein Leben zurück, ging wieder in die Praxis - und verkaufte sie dann doch. Sein Selbstvertrauen war geschwunden. „Lass doch deinen Sohn fahren!“ Der Lastwagenfahrer auf der Avus hatte die Scheibe heruntergekurbelt und brüllte Richtung Limousine. So langsam war Hans dahingeschlichen. Auch das Bauen ging nicht mehr so leicht von der Hand, alles wurde schiefer, unausgeführte Projekte, aber das würde alles noch werden, da war er sich sicher. Er malte Aquarelle, das brachte die Träume zurück, und er hielt sich und Moni von Menschen fern, denn die erinnerten nur an das Leben, das sie nicht mehr führen konnten.
Die letzten Jahre verbrachten die beiden viel Zeit im Weserbergland, in dem kleinen Wochenendhaus, wo er vor sich hin werkelte und sie sich um den großen Garten kümmerte. Alles schien gut, da kollabierte Hans erneut, Hirnblutung. Er kam ins Krankenhaus, wurde operiert, aber mehr Sorgen machte das Herz. Er musste ins Pflegeheim, die Söhne durften nicht zu ihm, Corona. Den Tod seiner Tochter erfuhr er auf Zuruf. Sie war ertrunken bei dem Versuch, ihren Freund zu retten, der vom Hausboot gefallen war, das Hans ihr gekauft hatte. Weil er ihr bis zuletzt ein schönes Zuhause hatte bieten wollen. So einfach ist es nicht, es allen recht zu machen. Doch ihm blieb ja noch Zeit für seine Frau, für seine Söhne, viel Zeit. Aber dann geschah das, was er sich selbst wohl nie hatte vorstellen können, sein rastloses Herz hörte einfach auf zu schlagen. Gregor Eisenhauer