Nachruf auf Winfried A. Langschied (* am 16. Februar 1944)
Beamte: staatlich Angestellte auf Lebenszeit, von untertänigem Geist, blasen Bagatellen auf, erledigen sie mit allzu humorloser Akribie, während komplexe Angelegenheiten auf die lange Bank geschoben werden. Sitzen gemütlich in den Büros und warten auf ihre Pension. Das Bild hält sich hartnäckig. Hielt sich ebenso in Winfrieds Kopf, obwohl er selbst Beamter war. Er nutzte das Beamtentum und begehrte zugleich dagegen auf.
Begonnen hat es mit einem Bild, das ihm gefiel und das er mit gerade einmal 16 kaufte, bezahlt aus eigener Tasche. Aus dem Elternhaus kam seine Neigung nicht. Der Vater, ein Lehrer, dichtete zwar nebenbei, schrieb Hörspiele und Kurzgeschichten, veranstaltete private Konzerte zu Hause im hessischen Weilburg, die bildende Kunst aber spielte keine Rolle.
Winfried hatte auch nie vor, selbst Kunst herzustellen. Er wollte sich mit ihr beschäftigen, wollte Kunst sammeln, über Kunst nachdenken, diskutieren, mit Künstlern in Kontakt kommen, sie unterstützen. Er sah, wie prekär viele von ihnen lebten. Wäre er wohlhabend gewesen, wäre er Mäzen geworden. War er aber nicht. Also galt es, an die richtige staatliche Stelle zu gelangen. Winfried studierte Volkswirtschaft und Politikwissenschaft, zuerst in Frankfurt am Main, dann in Berlin, die ideale Kombination für sein Vorhaben.
Nach dem Studium bewarb er sich für ein Praktikum in New York. Dort angekommen, stellte sich heraus, dass niemand von einem Praktikum wusste. Er landete auf einer Party, fragte so ins Blaue: „Hat einer einen Job für mich?“ - „Ja“, bekundete jemand, allerdings in Kanada, Saskatchewan, in einer Kali-Mine. Ein Vierteljahr harte Arbeit für eine Menge Geld, mit dem er ein weiteres viertel Jahr herumreiste.
Zurück in Berlin, begann er beim Senat zu arbeiten, zunächst in der Wissenschaftsverwaltung. Schnell wurde seinen Vorgesetzten klar, dass sie es mit einem Widerspenstigen zu tun hatten. Ein ehemaliger Kollege staunt noch heute: „Kurios, dass die Verwaltung sich einen solchen Mann geholt hat.“ Widerständig, allzeit bereit für eine Provokation. Allein die Sache mit seinem zweiten Vornamen. Was das A. bedeutete? „Überleg mal, wann ich geboren wurde“, fragte er zurück. Es wäre ein Leichtes gewesen, auf das Adolf-A zu verzichten. Aber um Leichtigkeit ging es Winfried nicht. Persönlich bin ich nicht verantwortlich, wusste er, als Deutscher schon.
Winfrieds Mangel an Diplomatie reizte Kollegen. Er wurde zu Aussprachen gebeten, die in heftigen Wortwechseln endeten. Dann wurde diese Stelle in der Sozialen Künstlerförderung des Senats frei. Er bewarb sich, man nahm ihn.
Das war der richtige Ort, für beide Seiten: Winfried konnte seine Kunstbegeisterung mit der Künstlerförderung verbinden, und für die Künstler war es ein Segen, einen kunstaffinen Verwaltungsmenschen vor sich zu haben. Winfried half, schnell, unbürokratisch. Oft standen die Künstler noch ganz am Anfang ihrer Laufbahn, kaum einer kannte sie, und mit Unbekannten schmückt es sich schlecht. Die Idee der Sozialen Künstlerförderung: Mittellose Künstler, auch der junge Lüpertz, der junge Baselitz, schließen Werkverträge mit der Senatsverwaltung, erhalten einmalig Geld und überlassen ihre Werke der Stadt.
Jahre später, als sich alle um Lüpertz und Baselitz rissen, konnte niemand mehr sagen, wo sich die wertvoll gewordenen Kunstwerke nun befanden. Ein Skandal, den Winfried versuchte aufzuklären. Womit er sich im Senat keine Freunde machte. Einige der Bilder sind inzwischen aufgetaucht, nach anderen wird weiterhin gesucht.
Auf vorgeschriebene Dienstwege pfiff Winfried. Für ein Ausstellungsprojekt wollte er höchste Stellen einbeziehen. Warum nicht gleich die allerhöchste, den Bundespräsidenten? Das Einladungsprozedere nach den Regeln der Verwaltung wäre ein endloses gewesen. Da rief er doch direkt in Roman Herzogs Büro an. Der Bundespräsident erschien auf der Vernissage, und Winfried bekam enormen Ärger.
Dann musste Geld gespart werden. Ab 1998 sollte die Soziale Künstlerförderung statt vier Millionen Mark nur noch eine Million bekommen. Eine immense Existenzbedrohung für viele Künstler. Winfried, Referatsleiter beim Senat, sprach sich gegen die Senatsentscheidung aus und bekam wieder Ärger. Bei der Kürzung blieb es.
Gänzlich platzte ihm der Kragen, als die Künstlerförderung im Jahr 2000 in die Investitionsbank Berlin ausgegliedert wurde. Vor der Fernsehkamera sagte er: „Das ist die Totgeburt der sozialen Künstlerförderung.“ Es reichte, er verabschiedete sich aus dem Dienst.
Ruhestand mit 58? Natürlich nicht. Er war weiterhin jeden Abend unterwegs, kaufte Kunst, traf Künstler. Zusammen mit seiner Frau Helge eröffnete er zwei Galerien und unterstützte Absolventen der UdK. Es lief eine Weile ganz gut, aber letztlich kannte er doch nicht genug betuchte Käufer. 2007 gab er auf: „Ich trinke meinen Wein jetzt wieder auf fremden Vernissagen.“
Dass immer mehr Menschen in prekäre Verhältnisse gerieten, verursacht durch die Harz-IV-Politik seiner eigenen Partei, der SPD, der er seit 1962 angehörte, empörte ihn. Seinen Austrittsbrief schloss er mit den Worten: „Mit freundlichen - aber auch zornigen - Grüßen.“ Gerhard Schröder, den er irgendwo zufällig traf, blaffte er ins Gesicht: „Deinetwegen bin ich ausgetreten!“
Im November 2019 dann die Krebsdiagnose. „Ich will aber leben“, sagte er und verbrachte den folgenden Sommer mit Helge am Gardasee. Es ging ihm gut. Er dachte, es ginge so weiter, doch das war ein Trugschluss. Tatjana Wulfert
Begonnen hat es mit einem Bild, das ihm gefiel und das er mit gerade einmal 16 kaufte, bezahlt aus eigener Tasche. Aus dem Elternhaus kam seine Neigung nicht. Der Vater, ein Lehrer, dichtete zwar nebenbei, schrieb Hörspiele und Kurzgeschichten, veranstaltete private Konzerte zu Hause im hessischen Weilburg, die bildende Kunst aber spielte keine Rolle.
Winfried hatte auch nie vor, selbst Kunst herzustellen. Er wollte sich mit ihr beschäftigen, wollte Kunst sammeln, über Kunst nachdenken, diskutieren, mit Künstlern in Kontakt kommen, sie unterstützen. Er sah, wie prekär viele von ihnen lebten. Wäre er wohlhabend gewesen, wäre er Mäzen geworden. War er aber nicht. Also galt es, an die richtige staatliche Stelle zu gelangen. Winfried studierte Volkswirtschaft und Politikwissenschaft, zuerst in Frankfurt am Main, dann in Berlin, die ideale Kombination für sein Vorhaben.
Nach dem Studium bewarb er sich für ein Praktikum in New York. Dort angekommen, stellte sich heraus, dass niemand von einem Praktikum wusste. Er landete auf einer Party, fragte so ins Blaue: „Hat einer einen Job für mich?“ - „Ja“, bekundete jemand, allerdings in Kanada, Saskatchewan, in einer Kali-Mine. Ein Vierteljahr harte Arbeit für eine Menge Geld, mit dem er ein weiteres viertel Jahr herumreiste.
Zurück in Berlin, begann er beim Senat zu arbeiten, zunächst in der Wissenschaftsverwaltung. Schnell wurde seinen Vorgesetzten klar, dass sie es mit einem Widerspenstigen zu tun hatten. Ein ehemaliger Kollege staunt noch heute: „Kurios, dass die Verwaltung sich einen solchen Mann geholt hat.“ Widerständig, allzeit bereit für eine Provokation. Allein die Sache mit seinem zweiten Vornamen. Was das A. bedeutete? „Überleg mal, wann ich geboren wurde“, fragte er zurück. Es wäre ein Leichtes gewesen, auf das Adolf-A zu verzichten. Aber um Leichtigkeit ging es Winfried nicht. Persönlich bin ich nicht verantwortlich, wusste er, als Deutscher schon.
Winfrieds Mangel an Diplomatie reizte Kollegen. Er wurde zu Aussprachen gebeten, die in heftigen Wortwechseln endeten. Dann wurde diese Stelle in der Sozialen Künstlerförderung des Senats frei. Er bewarb sich, man nahm ihn.
Das war der richtige Ort, für beide Seiten: Winfried konnte seine Kunstbegeisterung mit der Künstlerförderung verbinden, und für die Künstler war es ein Segen, einen kunstaffinen Verwaltungsmenschen vor sich zu haben. Winfried half, schnell, unbürokratisch. Oft standen die Künstler noch ganz am Anfang ihrer Laufbahn, kaum einer kannte sie, und mit Unbekannten schmückt es sich schlecht. Die Idee der Sozialen Künstlerförderung: Mittellose Künstler, auch der junge Lüpertz, der junge Baselitz, schließen Werkverträge mit der Senatsverwaltung, erhalten einmalig Geld und überlassen ihre Werke der Stadt.
Jahre später, als sich alle um Lüpertz und Baselitz rissen, konnte niemand mehr sagen, wo sich die wertvoll gewordenen Kunstwerke nun befanden. Ein Skandal, den Winfried versuchte aufzuklären. Womit er sich im Senat keine Freunde machte. Einige der Bilder sind inzwischen aufgetaucht, nach anderen wird weiterhin gesucht.
Auf vorgeschriebene Dienstwege pfiff Winfried. Für ein Ausstellungsprojekt wollte er höchste Stellen einbeziehen. Warum nicht gleich die allerhöchste, den Bundespräsidenten? Das Einladungsprozedere nach den Regeln der Verwaltung wäre ein endloses gewesen. Da rief er doch direkt in Roman Herzogs Büro an. Der Bundespräsident erschien auf der Vernissage, und Winfried bekam enormen Ärger.
Dann musste Geld gespart werden. Ab 1998 sollte die Soziale Künstlerförderung statt vier Millionen Mark nur noch eine Million bekommen. Eine immense Existenzbedrohung für viele Künstler. Winfried, Referatsleiter beim Senat, sprach sich gegen die Senatsentscheidung aus und bekam wieder Ärger. Bei der Kürzung blieb es.
Gänzlich platzte ihm der Kragen, als die Künstlerförderung im Jahr 2000 in die Investitionsbank Berlin ausgegliedert wurde. Vor der Fernsehkamera sagte er: „Das ist die Totgeburt der sozialen Künstlerförderung.“ Es reichte, er verabschiedete sich aus dem Dienst.
Ruhestand mit 58? Natürlich nicht. Er war weiterhin jeden Abend unterwegs, kaufte Kunst, traf Künstler. Zusammen mit seiner Frau Helge eröffnete er zwei Galerien und unterstützte Absolventen der UdK. Es lief eine Weile ganz gut, aber letztlich kannte er doch nicht genug betuchte Käufer. 2007 gab er auf: „Ich trinke meinen Wein jetzt wieder auf fremden Vernissagen.“
Dass immer mehr Menschen in prekäre Verhältnisse gerieten, verursacht durch die Harz-IV-Politik seiner eigenen Partei, der SPD, der er seit 1962 angehörte, empörte ihn. Seinen Austrittsbrief schloss er mit den Worten: „Mit freundlichen - aber auch zornigen - Grüßen.“ Gerhard Schröder, den er irgendwo zufällig traf, blaffte er ins Gesicht: „Deinetwegen bin ich ausgetreten!“
Im November 2019 dann die Krebsdiagnose. „Ich will aber leben“, sagte er und verbrachte den folgenden Sommer mit Helge am Gardasee. Es ging ihm gut. Er dachte, es ginge so weiter, doch das war ein Trugschluss. Tatjana Wulfert