Nachruf auf Wayne Grajeda (* am 8. Dezember 1945)
Die US-Army schickte die Söhne des Landes nach Vietnam. Auch Wayne sollte im Dschungel kämpfen. Wayne mit dem langen Zopf und dem Bart, der gerade seine ersten Songs schrieb und in einer Band Gitarre spielte. In diese Richtung sollte sein Leben gehen, das spürte er. Nicht in den Krieg. Irgendwie gelang es Wayne, in eine Spezial-Kompanie zu kommen, die definitiv nicht übers Meer geschickt werden würde. Genaueres wissen die Freunde nicht, die über sein Leben berichten.
Schießen lernte er trotzdem, er robbte unter Stacheldraht durch, ließ sich anbrüllen. Andere Soldaten schmissen sein Bett aus dem Fenster, er bekam die Strafe vom Drill-Sergeant. Auch hier würde er kaputt gehen, das merkte er. Also hungerte er, verlor Kilo um Kilo, um sich schließlich krankschreiben zu lassen. Er kam zu einer Psychologin und spielte seine Rolle gut: untauglich. Und wieder frei.
Wayne packte seinen Rucksack, schnappte seine Gitarre und flog nach Europa. Ein Jahr verbrachte er auf Kreta. Er spielte in Restaurants, spazierte am Strand, formte seine Gedanken zu Liedtexten, die passenden Melodien entstanden wie aus dem Nichts. Er liebte die findigen Wortspiele, seine Freunde nennen sie die „Wayne-Wahrheiten“. „Faith pours a dangerous drink“ zum Beispiel. Oder: „You can't cook in a dirty kitchen, you can't cook if it don't get hot.“
Anfang der 70er kam er nach West-Berlin - als Ersatz-Jesus. Für „Jesus Christ Superstar“ in der Deutschlandhalle stand er bereit, den Hauptdarsteller zu vertreten. Aber Jesus Nummer eins wurde niemals krank, Wayne kam nicht zum Einsatz. Spaß hatte er trotzdem: So viele Clubs, so viele Bühnen, auf denen es jeden Abend Live-Musik gab. Das Go-In, der Steve Club, der Folkpub, eine Band nach der anderen, alle 30 Minuten eine neue. Der Alkohol floss, die Drogen färbten die Eindrücke bunt, der Zigarettenqualm nebelte die letzten Clubecken ein. Die Berliner Nächte waren ein Rausch. Und Arbeit. Wayne spielte drei, vier Gigs pro Abend. Auf der Bühne hatte er diese besondere Ausstrahlung. Der Saal wurde ruhig, wenn er mit hoher Stimme zur Gitarre sang. Ein soulig-melodiöser Rock.
Er und Joe, Sammy, Jesse, Tom und Bob, lauter amerikanische Musiker in Berlin. Mal spielten sie allein, mal in Duos oder Trios. Zusammen lebten sie in einer Wohnung in Kreuzberg, Hagelberger Straße 14. Eigene Zimmer gab es nicht so richtig, jeder fand irgendwie seinen Platz zum Schlafen. Ein echter Berliner war zum Glück auch dabei, der war im Winter für die Kohleöfen zuständig. Sie inspirierten einander, spielten sich die neuen Stücke vor. An diesem Küchentisch müssen 100 und mehr Lieder entstanden sein.
Von hier aus schwärmten sie in die Nacht, hierhin kehrten sie im Morgengrauen zurück, oft mit weiblicher Begleitung. Auch Wayne liebte die Frauen, und sie liebten ihn, freundlich und offen wie er war. Eine für ein paar Wochen, eine andere für ein paar Jahre, bis die Wege sich eben wieder trennten.
In einem Club lernte Wayne einen seiner besten Freunde kennen, Bob. Er ist inzwischen Professor in Los Angeles, via Skype berichtet er von Wayne: „Er stand an meiner Seite, als ich meine schwierigen Zeiten hatte und er jedes Recht gehabt hätte, mich beiseite zu stoßen. Wie Brüder waren wir.“ Von Waynes Loyalität, dass er die Freundschaft nie in Frage stellte, sprechen alle, egal ob sie ihn seit 50 Jahre kennen oder erst seit zehn. In sein Leben gehörten einfach Freunde, viele Freunde.
Vielleicht liegt das an seiner Kindheit in Los Angeles. Sein Vater war ein sehr guter Trompeter, er starb, als Wayne fünf Jahre alt war. Die Mutter brachte ihn und seine Schwester allein durch, arbeitete lange und oft bis in die Nacht. Wayne lud die Kinder seiner Straße zu sich nach Hause ein, Latinos, Schwarze, Weiße, ganz egal. Hauptsache, sie konnten zusammen Musik hören. Von seiner Mutter kassierte er die eine oder andere Ohrfeige - und verstand erst viel später, dass sie trotzdem alles für ihre Kinder gegeben hatte.
Von Berlin ging es nach England, zusammen mit Tom, einem aus der Hagelberger-Clique. Sie tourten, lernten wichtige Produzenten kennen, bekamen einen Plattenvertrag bei Warner und brachten eine Single heraus: „Just like in the movies“. Dann aber zerstritten sich die beiden. Auch das gehörte zu Wayne: Mehrmals stand er vor dem großen Durchbruch, dann passierte irgendwas. Und Wayne sammelte sich wieder und machte weiter. Die Musik, die Bühne das Publikum, das war sein Leben, ob mit oder ohne Plattenvertrag.
In Los Angeles startete er noch einmal neu. Abends trat er mit verschiedenen Bands auf. Tagsüber arbeitete er im Filmgeschäft, im Casting, als Location-Scout, Drehbuchtexter, Koordinator. Am Ende war er hauptverantwortlicher Produzent von Dokumentarfilmen für „National Geographic“ und für den History Channel. Da ging es um die schönsten Jachten der Welt oder die größten Geheimnisse Ägyptens. Er verdiente gut, mietete eine große Wohnung, ein paar Straßen zum Strand nur, von seiner Terrasse aus konnte man den „Hollywood“-Schriftzug am Hügel lesen.
Wayne war ein Partytier. Er war der erste, der kam, und der letzte, der noch tanzte, im Morgengrauen, wenn alle anderen schon in den Ecken lagen. Eine Freundin hatte eine CD mit Dudelsackmusik zusammengestellt. Wenn sie die einlegte, gab selbst Wayne Ruhe.
So viel wäre noch zu erzählen. Wie er Anfang 2000 nach Berlin zurückkehrte, wie er die „Wayne Grajeda Band“ gründete, CDs herausbrachte und durchs Land tourte. Wie er wieder neue Freunde und Musiker um sich sammelte. Wie er mehrere Zeitungen am Tag las, die Politik aufsaugte, wie ihn Trump fast wahnsinnig machte. Wie er irgendwann feststellte, dass seine Hand nicht mehr machte, was sie sollte, und seine Stimme nicht mehr so kraftvoll war wie einst. „Das ist aber interessant“, sagte er und nahm Gesangsunterricht. „Das wird wohl das Alter sein.“
Es war die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, an der Wayne sterben sollte. Seine Freunde kümmerten sich um ihn, saßen an seinem Bett, hielten seine Hand, als er im September seinen letzten Atemzug tat. Karl Grünberg
Schießen lernte er trotzdem, er robbte unter Stacheldraht durch, ließ sich anbrüllen. Andere Soldaten schmissen sein Bett aus dem Fenster, er bekam die Strafe vom Drill-Sergeant. Auch hier würde er kaputt gehen, das merkte er. Also hungerte er, verlor Kilo um Kilo, um sich schließlich krankschreiben zu lassen. Er kam zu einer Psychologin und spielte seine Rolle gut: untauglich. Und wieder frei.
Wayne packte seinen Rucksack, schnappte seine Gitarre und flog nach Europa. Ein Jahr verbrachte er auf Kreta. Er spielte in Restaurants, spazierte am Strand, formte seine Gedanken zu Liedtexten, die passenden Melodien entstanden wie aus dem Nichts. Er liebte die findigen Wortspiele, seine Freunde nennen sie die „Wayne-Wahrheiten“. „Faith pours a dangerous drink“ zum Beispiel. Oder: „You can't cook in a dirty kitchen, you can't cook if it don't get hot.“
Anfang der 70er kam er nach West-Berlin - als Ersatz-Jesus. Für „Jesus Christ Superstar“ in der Deutschlandhalle stand er bereit, den Hauptdarsteller zu vertreten. Aber Jesus Nummer eins wurde niemals krank, Wayne kam nicht zum Einsatz. Spaß hatte er trotzdem: So viele Clubs, so viele Bühnen, auf denen es jeden Abend Live-Musik gab. Das Go-In, der Steve Club, der Folkpub, eine Band nach der anderen, alle 30 Minuten eine neue. Der Alkohol floss, die Drogen färbten die Eindrücke bunt, der Zigarettenqualm nebelte die letzten Clubecken ein. Die Berliner Nächte waren ein Rausch. Und Arbeit. Wayne spielte drei, vier Gigs pro Abend. Auf der Bühne hatte er diese besondere Ausstrahlung. Der Saal wurde ruhig, wenn er mit hoher Stimme zur Gitarre sang. Ein soulig-melodiöser Rock.
Er und Joe, Sammy, Jesse, Tom und Bob, lauter amerikanische Musiker in Berlin. Mal spielten sie allein, mal in Duos oder Trios. Zusammen lebten sie in einer Wohnung in Kreuzberg, Hagelberger Straße 14. Eigene Zimmer gab es nicht so richtig, jeder fand irgendwie seinen Platz zum Schlafen. Ein echter Berliner war zum Glück auch dabei, der war im Winter für die Kohleöfen zuständig. Sie inspirierten einander, spielten sich die neuen Stücke vor. An diesem Küchentisch müssen 100 und mehr Lieder entstanden sein.
Von hier aus schwärmten sie in die Nacht, hierhin kehrten sie im Morgengrauen zurück, oft mit weiblicher Begleitung. Auch Wayne liebte die Frauen, und sie liebten ihn, freundlich und offen wie er war. Eine für ein paar Wochen, eine andere für ein paar Jahre, bis die Wege sich eben wieder trennten.
In einem Club lernte Wayne einen seiner besten Freunde kennen, Bob. Er ist inzwischen Professor in Los Angeles, via Skype berichtet er von Wayne: „Er stand an meiner Seite, als ich meine schwierigen Zeiten hatte und er jedes Recht gehabt hätte, mich beiseite zu stoßen. Wie Brüder waren wir.“ Von Waynes Loyalität, dass er die Freundschaft nie in Frage stellte, sprechen alle, egal ob sie ihn seit 50 Jahre kennen oder erst seit zehn. In sein Leben gehörten einfach Freunde, viele Freunde.
Vielleicht liegt das an seiner Kindheit in Los Angeles. Sein Vater war ein sehr guter Trompeter, er starb, als Wayne fünf Jahre alt war. Die Mutter brachte ihn und seine Schwester allein durch, arbeitete lange und oft bis in die Nacht. Wayne lud die Kinder seiner Straße zu sich nach Hause ein, Latinos, Schwarze, Weiße, ganz egal. Hauptsache, sie konnten zusammen Musik hören. Von seiner Mutter kassierte er die eine oder andere Ohrfeige - und verstand erst viel später, dass sie trotzdem alles für ihre Kinder gegeben hatte.
Von Berlin ging es nach England, zusammen mit Tom, einem aus der Hagelberger-Clique. Sie tourten, lernten wichtige Produzenten kennen, bekamen einen Plattenvertrag bei Warner und brachten eine Single heraus: „Just like in the movies“. Dann aber zerstritten sich die beiden. Auch das gehörte zu Wayne: Mehrmals stand er vor dem großen Durchbruch, dann passierte irgendwas. Und Wayne sammelte sich wieder und machte weiter. Die Musik, die Bühne das Publikum, das war sein Leben, ob mit oder ohne Plattenvertrag.
In Los Angeles startete er noch einmal neu. Abends trat er mit verschiedenen Bands auf. Tagsüber arbeitete er im Filmgeschäft, im Casting, als Location-Scout, Drehbuchtexter, Koordinator. Am Ende war er hauptverantwortlicher Produzent von Dokumentarfilmen für „National Geographic“ und für den History Channel. Da ging es um die schönsten Jachten der Welt oder die größten Geheimnisse Ägyptens. Er verdiente gut, mietete eine große Wohnung, ein paar Straßen zum Strand nur, von seiner Terrasse aus konnte man den „Hollywood“-Schriftzug am Hügel lesen.
Wayne war ein Partytier. Er war der erste, der kam, und der letzte, der noch tanzte, im Morgengrauen, wenn alle anderen schon in den Ecken lagen. Eine Freundin hatte eine CD mit Dudelsackmusik zusammengestellt. Wenn sie die einlegte, gab selbst Wayne Ruhe.
So viel wäre noch zu erzählen. Wie er Anfang 2000 nach Berlin zurückkehrte, wie er die „Wayne Grajeda Band“ gründete, CDs herausbrachte und durchs Land tourte. Wie er wieder neue Freunde und Musiker um sich sammelte. Wie er mehrere Zeitungen am Tag las, die Politik aufsaugte, wie ihn Trump fast wahnsinnig machte. Wie er irgendwann feststellte, dass seine Hand nicht mehr machte, was sie sollte, und seine Stimme nicht mehr so kraftvoll war wie einst. „Das ist aber interessant“, sagte er und nahm Gesangsunterricht. „Das wird wohl das Alter sein.“
Es war die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, an der Wayne sterben sollte. Seine Freunde kümmerten sich um ihn, saßen an seinem Bett, hielten seine Hand, als er im September seinen letzten Atemzug tat. Karl Grünberg