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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Nachruf auf Christa Fischer (* am 31. Mai 1925)

Im letzten Kriegsjahr wurde sie als Flakhelferin eingesetzt, zum Schutz des Kohletagebaus in der Nähe von Leipzig. Von dort konnte sie das Flammenmeer sehen, in dem Dresden unterging: „Welch ein Verderben, ob Mutter und Schwester wohl überleben werden? / Das Elternhaus war nicht ganz zerstört / meine Gebete wurden erhört.“ Die Verse schrieb sie erst im Alter nieder, als sie versuchte, die Widersprüchlichkeiten des Lebens in Reimen zu fassen.
Ein Sonntagskind war sie, in der Semperoper hat sie Ballett getanzt, schon als Kind, die Eltern liebevoll, die Schwester ein Sonnenschein, das Leben hätte kaum schöner sein können in jenen Jahren. Im Sommer baden im See, im Herbst Pilze suchen, Schlittschuh laufen im Winter, und geradelt wurde ohnehin bei Wind und Wetter. Die Schwester war der Wildfang, sie selbst hingegen zeigte sich schon als Kind auffallend brav im Betragen und ungemein reinlich im Auftreten. In der Schule war sie fleißig, sehr gut im Kopfrechnen und im Diktat, auserwählt also für alle Künste der Buchhaltung.
Die Familie überlebte den Krieg. Der Friede versetzte selbst die sonst so vernünftige Christa in einen Freudentaumel. „Es wurde geflirtet, getanzt und gelacht / und dann bald schon Hochzeit gemacht. / Rechtzeitig kam Vater aus der Gefangenschaft, / verwundet an Leib und Seele, doch er hat es geschafft.“
Sie heiratete, vorschnell und gegen den Willen der Eltern, einen Konditormeister und Patissier, mit dem sie nicht glücklich wurde, allem Ehrgeiz zum Trotz. Sie hat die Abendschule besucht, das Abitur nachgeholt, wurde Bilanzbuchhalterin und musste von früh bis spät im Betrieb ihres Mannes arbeiten, erst im Osten, dann in West-Berlin, wo sie einen Neuanfang wagten, nachdem ihr Café in Bad Elster in Volkseigentum überführt worden war. Ihr Sohn Lutz kam auf die Welt, die Schwiegermutter zog ein in den Geschäftshaushalt, die neue Konditorei florierte, und wieder war das Leben nur Arbeit und Demütigung.
„Die Bekanntschaft eines netten Mannes, eines Kuchenfreundes, der fast täglich in den Laden kam, unterstützte mich und gab mir die Kraft, mich endlich von meinem untreuen Ehemann zu trennen und die Scheidung einzureichen.“ Zur Komplettierung ihres Glücks fand sie nach der Heirat des „Kuchenfreundes“ auch die Arbeitsstelle, die ihren Fähigkeiten wie ihrem Auftreten entsprach: Sie wurde kaufmännische Leiterin eines Luxushotels. „35 Jahre war das Hotel Palace mein Lebensinhalt, / bis dann endlich die Aufforderung des Ehemanns galt, / gearbeitet bis zum 70. Lebensjahr, du hast genug getan, / nun beanspruchte er mich, nun lass mal Jüngere ran.“
Einfach war es nicht, einen Nachfolger einzuarbeiten, der ihre Gnade fand, etliche Anwärter wurden verschlissen, fünf Jahre dauerte die Suche. Länger aber ließ sich der Abschied von ihrem Hotel nicht mehr hinauszögern, und so musste sie im Alter etwas erproben, was sie bis dahin nur als Kind gekannt hatte: die Freiheit von allen Pflichten genießen.
Fünf Jahre des unbeschwerten Glücks, dann starb unerwartet ihr Mann. Ebenso unerwartet, wie einst ihr Sohn gestorben war und ihre Schwester. Sie hatte niemanden mehr auf der Welt, sie floh aus der Stadt, suchte Trost auf Reisen und machte die Bekanntschaft zweier älterer Damen, die als Glücksfeen tätig waren. So zumindest musste es Christa vorkommen, denn die beiden luden sie ein ins „Schlösschen“, so der Kosename für die Begegnungsstätte, in der sie ehrenamtlich arbeiteten, dem „Käte-Tresenreuter-Haus“. Ältere helfen Älteren, lautet die Losung des selbstverwalteten Sozialwerks, und da sich im Rechnungswesen nicht viele vordrängelten, wurde Christa Schatzmeisterin. Darüber hinaus wachte sie über die hauseigene Kegelbahn, organisierte die Spieleabende und trieb noch die Trägsten zur Gymnastik an, indem sie vorturnte, was vielen unvorstellbar schien, etwa, dass sich auch im hohen Alter die Fingerspitzen noch bis zum Fußboden hinabsenken lassen.
An ihrem freien Tag, dem Mittwoch, besuchte sie Frisör und Fußpflege. Essen ging sie stets im „Schlösschen“. Mit 91 wurden ihre Augen schlechter, Zahlen waren nur noch mit der Lupe zu entziffern, aber ihre Texte konnte sie blind in die alte Schreibmaschine tippen, eine Triumph, deren Tastatur gehörige Kraft in den Fingern forderte. Darüber hinaus verfügte sie bis zuletzt über ihren resoluten Willen und ihre geistige Klarheit, sodass sie aus freien Stücken, wenn auch mit großem Bedauern, ihr Auto abgab, nachdem sie wiederholt etwas zu nah an der Laterne geparkt hatte.
Lange wurde sie gesiezt im Haus und siezte ihrerseits jeden, aber in den letzten Jahren wurde sie sanfter, hielt sich nicht mehr ganz so förmlich und straff, was die Hinwendung zur Lyrik erleichterte. Denn als sie nahezu erblindet war, reimte sie, was immer das Versmaß zusammenhielt. „An mein Talent, schöne Gedichte zu verfassen, / hatte ich länger nicht daran gedacht, doch nun könnte es passen. / Für die Schlösschen-Post, für besondere Anlässe im Verein, / sind meine Ansichten willkommen, im Reim.“
Bis sie dann nicht mehr wollte, weil sie nicht mehr konnte, aber das letzte Wort behalten sollte, denn sie ganz allein entschied den Tag des Abschieds. Gregor Eisenhauer