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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Nachruf auf Barbara Dalheimer (* am 11. Juli 1940)

Der Pfarrer nahm den Hörer ab. Barbara war am Telefon. „Du“, sagte sie, „es ist doch jetzt Spargelzeit. Wie wäre es, wenn du mich einlädst. Ich liebe Spargel und wenn du noch ein Schnitzel dazupackst, würde mir das gefallen.“ Natürlich lud der Pfarrer sie ein. Schließlich handelte es sich hier um Barbara Dalheimer, und die hatte immerhin einen Doktor in Kunstgeschichte. Kennengelernt hatten sich die beiden vor 30 Jahren. Sie war die ABM-Kraft. Er der Pastor. Seitdem waren sie befreundet. Mal mehr, mal weniger.
Ihre Dissertation schrieb Barbara über die Architektur eines Hotels in Paris. Später ging sie nach Peru, wo sie drei Jahre über die Ästhetik der dort so typischen Holzbalkone nachdachte. Ob da was draus geworden ist? Unklar.
Barbara wurde von einem Auto überfahren, direkt vor ihrer Haustür. Ohne auf den Verkehr zu achten, ist sie einfach auf die Straße gegangen. Ihre Wohnung ist versiegelt, weil ihre drei Brüder das Erbe nicht antreten wollten. Nicht mal an ihr Adressbuch kommen ihre Freunde heran. Viele von Barbaras Bekannten wissen womöglich noch gar nicht, dass sie tot ist.
Es muss Anfang der 80er gewesen, drei Freunde wollten in ihrem VW-Bus von einer Kunstveranstaltung nach Hause fahren. Plötzlich drängte sich eine Frau mit ins Auto, die auch auf der Veranstaltung war. „Ich bin Barbara. Ich hab' gehört, dass ihr was zu essen machen wollt. Da bin ich mitgekommen.“ Sie nahmen sie mit, parkten sie im Wohnzimmer, gaben ihr etwas zu essen, und seitdem kannten sie sie. „Wenn sie einen mochte, konnte man ihr schlecht aus dem Weg gehen. Sie war da sehr überzeugend.“
Botschaftsveranstaltungen hatten es Barbara angetan. Die waren umsonst, da gab es Kultur, Wein und Häppchen. Die Leute waren gesittet und gut angezogen. Barbara saß in der ersten Reihe, schüttelte Hände, stellte sich vor und zwar am liebsten ganz dicht beim Botschafter. Hatte man sie an seiner Seite, blieb sie und kaperte die Unterhaltung. Sie redete einfach drauflos und wechselte dabei so oft das Thema, dass man kaum hinterherkam.
So erzählen Barbaras Freunde, mal lachend, mal nachdenklich. Treffpunkt für das Gespräch ist Barbaras Lieblingscafé, direkt gegenüber ihrer Wohnung an der Karl-Marx-Allee. „Der Umzug hierher, Anfang 2000, war eine Katastrophe. Natürlich hatte sie nichts vorbereitet. Sie, wir, ihre vielen Kunstbücher und sonst niemand.“
„Für Kunst hatte sie ein Auge. Ob es gut war oder schlecht, da hatte sie so ein Gefühl“, sagt der eine. „Sie sah überhaupt nichts, wenn man sie nicht drauf brachte“, sagt die andere, „Von Fotografie hatte sie etwas Ahnung. Sie hatte ihre alte Leica. Und Geschichte, da kannte sie jedes Datum.“
„Hatte sie jemals einen Job? Einen richtigen?“, fragt der eine dann. Wohl eher nicht. Barbara zog von einer ABM zur nächsten. War immer arm. Mal arbeitete sie für diesen Pastor und war verantwortlich für das Gemeindeblatt, dann gab sie Führungen in Museen, half in einer Künstler-Vereinigung aus, managte kleine Kunstprojekte. Ein paarmal wurde sie gefeuert, weil sie ihre Chefs zu aufdringlich auf Fehler hingewiesen hatte, auf Rechtschreibfehler etwa.
„Sie lebte in ihrer Welt. Ich war schwanger, mein Bauch wurde dicker und sie bekam's überhaupt nicht mit. Dann war das Baby da, und sie fragte: Huch, wo hast du denn das her?“
„Trotzdem war sie immer zufrieden und glücklich, auf ihre kindliche, naive Art. Nur mehr Geld, das hätte sie schon gerne gehabt.“
Nah bei Düsseldorf war sie aufgewachsen, der Vater HNO-Arzt, die Mutter HNO-Ärztin, er streng, sie lieb. Drei ältere Brüder gab es, und Barbara war das Rad am Wagen, das eierte und irgendwie nicht passte, aber niemals quietschte. Nach dem Abi meldete sie sich in Zürich an einer Fotografieschule an. Ihr Vater meldete sie wieder ab und besorgte ihr eine Buchhändlerlehre in Düsseldorf. Das war auch okay für sie. Vielleicht konnte sie das überhaupt nicht, unglücklich sein, sich beklagen.
Irgendwann entdeckte Barbara ihre Liebe zu orthodoxen Kirchenchören. Diese tiefen Gesänge, die mitten in den Bauch gehen. Barbara sang mit, sammelte Aufnahmen, fuhr auf internationale Chortreffen, organisierte welche. Sie ließ Chöre und Dirigenten aus den osteuropäischen Ländern nach Deutschland kommen. Mit einem klapprigen, hustenden Bus ging es von einer Stadt in die nächste, finanziert vom Spendengeld.
Irgendwie klappte das alles. Meistens. Auch weil ihr immer alle halfen. Klappte es mal nicht, oder sagte mal einer „Nein, ich kann jetzt nicht“, war das auch nicht schlimm. Dann fragte sie den nächsten.
Was jetzt noch bleibt? Männer? „Es gab zwar in jeder Stadt einen Liebhaber, aber nichts Festes, da war sie immer gleich wieder weg.“ Kinder? „Zum Glück nicht. Sie kam mit Müh und Not selbst zurecht.“ Eine Ausstellung? „Die hatte sie, hier auf der Karl-Marx-Allee. Sie zeigte ihre Fotos aus Peru, schwarz-weiß, Gebäude und Straßen, keine Menschen. Die Ausstellung war winzig, es waren nur ein paar Leute da. Doch Barbara strahlte, war noch glücklicher als sonst.“ Karl Grünberg