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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Alt werden? Alles eine Frage der Haltung. Also wurde er nicht alt

Nachruf auf Peter Zander (Geb. 1922)
Ich wurde als Deutscher erzogen, als Berliner. Ich wurde nicht beschnitten. Ich wurde mit Spreewasser getauft.“ Segeln, Rudern, Regatten bejubeln: Am Wannsee verbrachte er als Kind seine glücklichsten Tage. Peters Vater hatte ein Boot dort liegen, einen schnellen Segler, gemeinsam mit Adolf Hain, dem späteren Vorsitzenden des „Vereins Seglerhaus“. Das Boot, ein rasanter Schärenkreuzer, war auf den Namen „Elan“ getauft worden, eine Zusammenfügung der Anfangsbuchstaben von Adolf Hains Ehefrau Elisabeth und Peters Mutter Anita. An Bord des Schiffs picknickten sie gern gemeinsam, die Ehepaare, deren beider Söhne Peter hießen, Freunde fürs Leben, wie es damals schien. Adolf Hain tat in den Folgejahren viel für den Segelsport, das Vereinsstarboot „Wannsee“ gewann die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 1936. Und Adolf Hain tat als Vereinsvorsitzender alles dafür, die jüdischen Mitglieder nach der Machtergreifung möglichst rasch aus dem Verein zu treiben.
„Ich wusste damals gar nichts von meiner jüdischen Herkunft, bis im Jahr 1933, ich war zehn, ein Mann an unsere Wohnungstür in der Ravensberger Straße 2 kam und aus seinem Koffer eine ganze Palette an Nazi-Emblemen und Armbändern hervorholte.“ Peter kaufte ein Hakenkreuz-Abzeichen, weil es ihn von den Farben her an das Abzeichen des Segelclubs erinnerte, das sein Vater lange Zeit so stolz getragen hatte. Seine Mutter nahm es ihm umgehend wieder weg.
Der Verrat seines Freundes Adolf Hain bestärkte den Vater in seinem Plan, Deutschland möglichst schnell zu verlassen. Er reiste im Frühjahr 1933 nach England und holte Frau und Kind ein halbes Jahr später nach. Peter kam sich nie als ein Vertriebener vor, sondern stets als Auswanderer. Die Familie war ja längst in Sicherheit, als 1942 die Wannsee-Konfernz unweit des Seglerhauses stattfand, auch die Großmutter hatten sie nachholen können. Aber die Schwester seiner Mutter, die Schwester seines Vaters und die Schwester seines Großvaters wurden ermordet.
Der Vater konnte in der Fremde geschäftlich nicht Fuß fassen und ließ die Familie nach wenigen Jahren im Stich. Anita Zander schlug sich anfangs mit Haushaltsstellen durch und arbeitete später in einem Damenmodehaus. Sie achtete streng darauf, dass Peter die deutsche Sprache nicht verlernte, sie wollte sich und ihm beide Welten wohnlich erhalten: das schöne Deutschland, wie sie es in der Erinnerung mit sich trug, und die neue Heimat, in der sie sich willkommen, aber selten heimisch fühlte.
Im Auftrag des Britischen Roten Kreuzes kehrte Peter 1946 für zwei Jahre nach Deutschland zurück. Er arbeitete als Wohlfahrtsoffizier für die Kinderhilfe und inszenierte nebenher Theaterstücke. Das Pendeln wurde ihm zur Gewohnheit, das Pendeln zwischen den Ländern und zwischen den Professionen. Welchen Beruf auch immer man im Theater- und Schauspielmilieu nennen mag, Peter Zander hat ihn früher oder später ausgeübt. Er war Opernregisseur und Darsteller, studierte Maskenbildnerei, volontierte am Berliner Ensemble, assistierte an der Deutschen Oper, lehrte, schrieb, trat im Fernsehen auf, posierte als Fotomodell, leitete das „Richmond Theatre Festival“ in London und initiierte zahllose andere Veranstaltungen, die er stolz in seinem Internetauftritt peterzan.blogspot.com auflistete - da war er gerade 87 geworden. Vorher blieb dafür einfach keine Zeit.
So viele Berufe übte Peter aus, dass er in keinem eine Karriere machen konnte. Dazu war er viel zu unstet. Immer auf dem Sprung. Er fand überall Gastgeber, denn er war ein gern gesehener Unterhalter, Maître de Plaisier zu seinem eigenen Vergnügen wie dem der anderen. Er verstand es, sich angenehm zu machen, ohne sich je aufzudrängen, der perfekte Gast, verbrachte viel Zeit bei Freunden in Griechenland, war häufig in Italien eingeladen, verlebte wunderschöne Jahre in Paris, reiste im Oldtimer nach Marokko, unternahm dank einer Freundin beim Film eine Luxusreise nach Goa, wo er Zaungast einer Hollywood-Produktion war. Eine Operninszenierung führte ihn nach Israel, eine Theatertour nach Südafrika. Er schlief in New York in einem Zimmer mit zwei Gemälden von Francis Bacon und lenkte mit greiser Hand ein Quad-Bike durch den Bergurlaub, weil ihm das Gehen dort zu beschwerlich war. Er begutachtete Opernaufführungen in allen großen europäischen Städten, wenn möglich immer von der ersten Reihe aus. Und er träumte bis zuletzt seinen Traum von einem Opernhaus in den Bergen bei Gstaad, den ihm einst Menuhin eingeflüstert hatte.
Vor allem aber kam er immer wieder nach Berlin zurück. Anfangs gemeinsam mit seiner Mutter, später allein. In London war Alltag, graue Gegenwart, bescheidene Verhältnisse, in Berlin das Schöne, das Gute, die glänzende Vergangenheit, die vor allem an Weihnachten so hell erstrahlte. Mutter und Sohn waren zum Jahresende Stammgäste im Plaza Hotel an der Knesebeckstraße und feierten dort mit dem übers Jahr gesparten Geld die Festtage so, wie sie es aus den goldenen Zeiten gewohnt waren.
Nach dem Tod seiner Mutter setzte Peter die Tradition allein fort. Er konnte sehr beharrlich sein in dem, was er tat. Was nicht hieß, dass er alt wurde. Das Besserwisserische, das Sture und Starre mancher Zeitgenossen mochte er ganz und gar nicht. Mit 88 gab er einem Freund, der jammernd 50 geworden war, einige Tipps wie der Senilitätsfalle zu entkommen ist. Das Problem, so führte er aus: Menschen, die älter werden, benehmen sich oft auch so, acting old. Sie bewegen ihren Kopf nicht mehr. Eine Frage der Haltung. Peter gab sich niemals wie ein alter Mann. Er tat zur Vorsorge das, was er auch streng seinen Altergenossen anriet: Yoga und „Alexander-Technik“, Atem- und Entspannungsübungen. Er widmete sich intensiv jedem Körperteil, insofern es drohte, seine Funktionsfähigkeit einzubüßen, zu versteifen oder gar zu verknöchern, von den Zehen bis zum Kopf. Eine ständige Vitalisierung mit besonderem Augenmerk darauf, sich immer gerade zu halten. Wann immer er einen jungen Menschen mit guter Haltung sah, straffte er selbst den Rücken. Wann immer er einen alten Menschen gebeugt daherschlurfen sah, erst recht. Wer den Rücken gerade hält, kann seinen Kopf besser balancieren und hat den Blick frei nach allen Seiten.
In der Kleidung gab er sich ein wenig exaltiert, aber nie auffällig. Jugendlich die Farben, gerne Sportschuhe, bunte Tücher, die Lebensfreude sollte wahrnehmbar sein. Die Augen hielt er stets weit offen, weil er sich seine kindliche Neugier bewahren wollte.
58 Jahre lebte Peter in London, im Herzen der Stadt, allein in einer winzigen Zwei-Zimmer-Wohnung, Romilly Street, beste Lage in Soho, von wo er sich auch nicht vertreiben lassen wollte. Aber 1994 hatte er gemeinsam mit seiner Mutter die deutsche Staatsbürgerschaft wieder angenommen. „Es war ein Fest für mich. Ich habe es gefeiert.“
Er wollte sich nicht damit abfinden, dass er aus dem Paradies seiner Kindheit vertrieben worden war. Peter hatte eine hartnäckige, in den Augen der Betroffenen zuweilen sehr störrische Art, wenn er etwas durchsetzen wollte. Das mussten auch die Verantwortlichen des „Vereins Seglerhaus am Wannsee“ spüren, wo er eines schönen Tages aufkreuzte. Er brachte offen zur Sprache, wie schäbig der Präsident seinerzeit mit den jüdischen Vereinsmitgliedern umgegangen war - und wurde zum Ehrenmitglied ernannt. Seinen 85. Geburtstag feierte er mit einem Festessen auf der Terasse des Seglerheims, wo er so oft mit seinen Eltern gesessen hatte. Dort wollte er auch seinen 90. feiern. Bevor es dazu kam, traf ihn der Schlag. Die letzten Jahre war er auf Pflege angewiesen. Er konnte den Daumen heben und senken, wenn ihm etwas gefiel, er konnte sehr ungehalten werden und tief in sich versunken sein, aber es schien, als freute er sich über all die Zugewandtheit, die nun ihm ganz persönlich galt. Gregor Eisenhauer
Friedhof II der Dreifaltigkeitsgemeinde an der Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg. Foto: Doris Spiekermann-Klaas