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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Wenn er in der Kneipe saß, gab er keinen Rat, das war die Regel

Nachruf auf Wilhelm Lodde (Geb. 1958)
Kein Fall war ihm zu klein, zu unwichtig oder zu schlecht bezahlt. Eine ungerechtfertigte Mieterhöhung um fünf Euro - Wilhelm Lodde erhob Einspruch. Die Kündigung der Mietwohnung unter windigen Vorwänden - Wilhelm Lodde zog vor Gericht. Einen schwulen Polizisten, der mitanhören musste, wie ein Polizeidozent verletzende Sprüche riss, vertrat er mit einem Strafantrag wegen Volksverhetzung durch die Instanzen. Wilhelm Lodde war Rechtsanwalt für die kleinen Leute, die sich ohne einen wie ihn kaum wehren konnten. Er tat das mit einer gelassenen Selbstverständlichkeit und erwartete keinen Applaus.
In einer kleinen Kopfsteinpflaster-Seitenstraße von Neukölln befand sich sein Ladenbüro, nur gekennzeichnet mit einem blassen Blatt Papier, das er von innen ans Fenster geklebt hatte. Hier traf er die Mandanten, verwahrte die Akten, goss die Büroblumen. Verhandlungsstrategien entwerfen, Schriftstücke aufsetzen, Artikel schreiben, das machte er lieber zu Hause, nur eine Straße weiter, erster Stock, drei Zimmer. Dort hatte er sich in seinem Leben eingerichtet, die Bücher, die Reiseführer, die Comicsammlung, ein Leben, das er sich mit seinem Freund teilte. 20 Jahre waren sie zusammen, geheiratet haben sie nicht. Für ihr gemeinsames Leben, für die Fahrradtouren ins Berliner Umland, für die vielen Reisen, für das Füreinanderdasein, brauchten sie keinen Segen und keine Eintragung beim Standesamt.
Willi, wie er von seinen Freunden genannt wurde, war der Ruhige, Gelassene, der lieber mit den Worten spielte und einen sarkastischen Spruch machte, als groß aufzutrumpfen. Das Hallesche Tor nannte er das „Höllische Tor“ und Schöneberg war „Stöhneberg“. Und dann dieses Wetterarchiv: Jeden Abend setzten sie sich hin, Willi und sein Freund, am liebsten in eine Kneipe, die nicht zu hip war und nicht zu teuer, da tranken sie ihr Bier, rauchten ihre Zigaretten und übertrugen die aktuellen Wetterdaten in ein Diagramm. Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, Jahr um Jahr. Mal gesellten sich Freunde dazu, dann redeten sie über Politik, die Ungerechtigkeiten, übers Völkerrecht, das andauernd gebrochen wird. Politisch waren sie, ohne aber die Keulen der großen Ideologien zu schwingen. Wenn Willi zu wenig Geld für die Kneipenabende verdiente, sprang sein Freund ein. Zusammen waren sie mal glücklich, mal zufrieden, aber reich, das waren sie nie.
Kam jemand zu Wilhelm in die Rechtsberatung der Berliner Mietergemeinschaft, erkundigte sich über Nebenkostenabrechnungen, Schimmel an den Wänden oder Eigenbedarfskündigungen, begegnete der Anwalt ihm ernst und mit einer unbedingten Sachlichkeit. Hier war man in sicheren Händen, das spürten die Leute, und etliche wollten sich dann auch von ihm vertreten lassen. Da war die eine Frau, rausgeklagt, weil ihre Bücher im Keller Schimmel verursacht haben sollen. Eine absurde Behauptung. Da war die andere Frau, der gekündigt wurde, weil sie in den Wintermonaten angeblich nicht geheizt hatte und es deswegen zu Frostschäden gekommen sein sollte. Willi schaute in sein Wetterarchiv und stellte fest, dass es in dem genannten Zeitraum gar keinen Frost gegeben hatte.
Beim „Schwulen Überfalltelefon“ übernahm er Schichten und half juristisch weiter, dem Polizisten gegen den Polizei-Dozenten oder dem Besitzer einer Szene-Bar, die von der Polizei in Kampfmontur überfallartig durchsucht worden war. Nur wenn er in der Kneipe saß, gab er keinen Rat, das war die Regel.
Selbst als es zu Ende ging, als er wegen des Krebs' im Krankenhaus lag, beantwortete er noch Telefonate, setzte Schriftstücke auf, machte Termine am Gericht, als ob er in der nächsten Woche wieder fit sein würde. War er aber nicht. Mittendrin trat er vom Dienst ab, sein Büro ist inzwischen ausgeräumt, das Blatt Papier wird sicher auch bald vom Fenster entfernt. Karl Grünberg