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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Aus dem Ladengeschäft wurde eine richtige Druckerei, „Das Haus der feinen Drucksachen“

Nachruf auf Friedhelm Ratzlow (Geb. 1951)
Drucker haben eine schwarze Seele. Sie sprechen eine Sprache, die andere nicht verstehen, fangen „Zwiebelfische“, schlagen sich mit „Hurenkindern“ und „Schusterjungen“ herum, bei denen es sich letztlich doch nur um verlorene Absatzzeilen handelt. Friedhelm, der sich nur Fridolin rufen ließ, wusste von klein auf, dass er zu diesem Geheimbund der „schwarzen Männer“ gehören wollte, denn sie waren die eigentlichen Herren des Worts im Zeitalter des Papiers.
In den Ferienlagern der Bündischen Jugend lernte er von Hugo Hoffmann, dem späteren Kreuzberger Atelier- und Handpressenbetreiber, wie man eine Schrift richtig setzt, bis daraus eine Zeitung wird. Aber er hatte eine Rot-Grün- Schwäche und konnte keine Druckerlehre machen. Also arbeitete er zunächst als Vertreter für den Weddinger Maschinenhersteller Rotaprint. Nebenher übte er bereits an der kleinen Tischdruckmaschine RT4, was so alles möglich war: Medizinskripte vervielfältigen, Farbpostkarten für die „Kleine Weltlaterne“, Prüfungsbögen für ein Taxiunternehmen drucken.
Die Wohnung war über einem Waschsalon, da fiel der Krach nicht weiter auf. Bald darauf machte er sein erstes Ladengeschäft auf, in der Dudenstraße, neben der IG Druck und Papier, die sich auf modernere Zeiten einzustellen hatte. Fridolin expandierte schnell und hatte immer die neuesten Maschinen. Aus dem Ladengeschäft wurde eine richtige Druckerei, „Das Haus der feinen Drucksachen“. Neue Maschinen wurden angeschafft, er zog in die Oranienstraße um, dann in die Köpenicker, wo gleich mehrere Etagen angemietet wurden. Für viele Kunden hat er gedruckt, hochgeheime Papiere für die Amerikaner, Werbezettel für Haushaltswarengeschäfte, feine Kataloge, billige Prospekte.
Er war schnell, günstig und für Berliner Verhältnisse überraschend freundlich: „Behandle, berate und betreue deine Kundschaft so, wie du behandelt, beraten und betreut werden willst.“ Er war fair. Auch im Umgang mit seinen zuletzt 16 Leuten. Chef und Betriebsrat in einer Person. Kein Antreiber. Sein Büro war seine Wohnung, und wenn er da das Licht ausmachte, arbeitete er im „Kühlen Grund“ oder einer anderen Kneipe weiter.
Der Lohn wurde in all den Jahren nur zwei Mal verspätet ausgezahlt. Wenn einer nicht richtig spurte, titulierte er ihn als „Brühkopf“ und ging zur Tagesordnung über. Kündigen konnte er nicht. Er gründete auch keine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Seine Meinung war: Ich stehe dafür ein! Das haben ihm nicht alle Mitarbeiter gedankt. Bei Schichtende ließen die meisten prompt den Löffel fallen, und er saß mit der Restarbeit da.
Als die Wirtschaftskrise 2008 kam, blieben die Großaufträge aus. Fridolin musste erst seine Lebensversicherung verpfänden, dann seine Wohnung verkaufen und ging dennoch bankrott. Und weg aus Kreuzberg. Da mochte er keinem mehr begegnen, seine Künstlerfreunde ausgenommen. Denn am liebsten hatte er für die gearbeitet, bestes Papier, günstige Preise, Kataloge, Plakate und Einladungskarten, Ehrensache. Sigurd Kuschnerus, einer seiner Malerfreunde, hat ihn auf einem Bild verewigt: Da sitzt er in seinem Korbsessel, Fridolin, der Herrscher über die schnellsten Druckmaschinen der Stadt, lässig den Daumen in der Hosentasche, obwohl der Boden unter ihm längst bröckelt. An der Wand hängen die Bilder seiner Freunde Kuschnerus, Mühlenhaupt und Neumann.
Fridolin zog nach Köpenick, lebte von der Stütze, gelegentlichen Jobs und seinen schönen Erinnerungen. Er ließ sich ungern einen ausgeben, aber er war auch niemandem böse. Sein Humor wurde ein wenig bissiger, dafür ließ die Gesundheit nach. Irgendwann ging er endlich zum Arzt, und von da an blieben ihm noch 63 Tage. „Können wir noch was für Sie tun?“, fragte der Chefarzt in der Klinik, und Fridolin meinte: „Ja, machense mir mal den Joghurt auf.“
Sein Bruder war bei ihm Tag und Nacht. Die Urne stand bereits im Zimmer, die hatte Roland Neumann schön lebendig bemalt. Schwester Theresa Maria betete das Vaterunser mit ihm, und die Musik für die Beerdigung stand auch schon fest: „Lazarus“ von David Bowie und „Mich brennt's in meinen Reiseschuh'n“. Womit er gehadert hat? Dass er die Einladungskarte nicht mehr selbst drucken konnte. „Fridolin wünscht sich keine Blumen und keine schwarze Kleidung auf dem Friedhof, aber dafür eine ordentliche Feier nach der Beisetzung.“ Gregor Eisenhauer