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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Von allein kommt irgendwann der Tod, um den Rest muss man sich kümmern

Nachruf auf Kurt Bohg (Geb. 1919)
Die Lehre seiner Kindheit, seines Lebens: Man muss was tun. Von allein kommt irgendwann der Tod, um den Rest muss man sich kümmern. Der kleine Bauernhof der Eltern in der Lausitz ging in Flammen auf, da war er sieben. Die Versicherung bezahlte nichts, da blieb der Familie nur der Umzug in die Stadt. In Berlin versuchten sich die Eltern als Gastwirte, doch es waren wilde Zeiten. Arbeitslosigkeit, politische Kämpfe, die mit Fäusten ausgetragen wurden. Als das immer öfter in der Kneipe von Kurts Eltern geschah, mussten sie sie schließen, versuchten es woanders neu und machten irgendwann einen Gemüseladen auf. Von nichts kommt nichts.
Kurt musste früh mit ran, als Beifahrer für eine Bäckerei verdiente er ein erstes kleines Geld für die Familie. Bei „Rieth & Sohn“, einer Metallbaufirma in Reinickendorf, ging er in die Lehre und war so eifrig bei der Sache, dass sie ihn zum „Oberlehrling“ ernannten. Abends machte er sein Abitur. Die Firma übernahm ihn, und er war so unabkömmlich, dass er nicht in den Krieg musste.
Erst im April 1945 legte man ihm eine Panzerfaust auf die Schulter, mit der er sich den Russen in den Weg zu stellen hatte. Im Park von Biesdorf, am östlichen Ende von Berlin, riss ein Granatsplitter eine tiefe Wunde in sein Bein, er gelangte in den Keller des Schlosses, konnte sich kaum noch bewegen, er hörte ein Knistern über sich. Das Schloss lag in Flammen, auf sich allein gestellt wäre er hier verbrannt. Da geriet, warum und wie auch immer, die Krankenschwester eines christlichen Hospitals zu ihm, holte ihn raus und brachte ihn in einer Schubkarre in Sicherheit.
Das Erlebnis war bedeutsam, widersprach es doch den Erfahrungen, die Kurt Bohg bislang gemacht hatte. Hier war er ausgeliefert, er konnte nichts tun, nur hoffen. Sein Schicksal lag in der Hand eines anderen Menschen, noch dazu eines Menschen, den der Glaube an etwas Höheres antrieb. Aus Dankbarkeit dieser Schwester gegenüber beschloss Kurt Bohg, sich vom Christenglauben vorerst nicht abzuwenden.
Was folgte, mag man als günstige Fügung des Schicksals deuten. Ganz sicher aber lässt sich sagen, dass das, was Kurt Bohg erreichte, er nie erreicht hätte mit dem bloßen Vertrauen auf höhere Mächte. Halfen die ihm denn beim Kartoffel- und Getreidesammeln in der bitteren Nachkriegszeit, beim Ausgraben und Zersägen von Baumwurzeln, um Brennholz zu gewinnen, bei der Herstellung von Bratpfannen aus zerschossenem Blech - ein Versuch der Firma „Rieth & Sohn“, in der Trümmerwüste die Produktion wieder aufzunehmen.
Was ihm half, war das Bewusstsein, das alles nicht für sich allein zu tun, sondern auch für seine Frau und die zwei Kinder, 1943 und 1945 geboren. Ein Freund empfahl ihm, Lehrer zu werden, das versprach ein sicheres Einkommen. Seit 1946 studierte er an der Pädagogischen Hochschule und arbeitete nebenher schon als Hilfslehrer. Seit 1949 unterrichtete er an der Berufsschule für Kfz-, Fahrrad- und Nähmaschinentechnik in Neukölln. Zwei Stunden Fahrtweg von Biesdorf dorthin, so war das eben. Eine Hälfte seines Gehaltes bekam er in West-Mark, die andere in Ost-Mark, seit 1955 dann alles in West, denn sie zogen nach drüben, endlich in eine größere Wohnung, sogar in eine viel zu große, fünf Zimmer, die hatten sie zugeteilt bekommen. So viel Planwirtschaft herrschte selbst noch in West-Berlin.
Kurt Bohg bewährte sich unablässig weiter, wurde Fachvorsteher, dann stellvertretender Direktor und schließlich, mit 45, Direktor der Porsche-Oberschule für Kfz-Technik in Charlottenburg. Inzwischen wohnte die Familie auch standesgemäß in einem Haus mit Garten in Lankwitz, auf den Opel folgte ein Mercedes, alles hochverdient.
Womit aber verdient man es, dass einem die Tochter genommen wird? 21 war sie, als sie an Multipler Sklerose starb. Wer glaubt da an einen guten Herrn im Himmel? Kurt Bohg kaum noch. Er glaubte an die Verantwortung des Menschen.
Auf eine weitere Karriere im Schuldienst verzichtete er, Schuldirektor war genug. Immerhin einer, der seiner Schule einen großzügigen Neubau erkämpfte.
Nach 33 Dienstjahren ging er in Rente - und es standen ihm noch 36 Lebensjahre bevor. Mit Badminton im Garten und Tischtennis im Keller hielt er sich fit, er bereiste mit Frau und Kamera die Welt, lud Freunde und Verwandte zu den Auswertungsabenden ein, besuchte die Familie seines Sohnes, empfing die Enkel. Es fehlte ihm an nichts. Mit 85 zog er Bilanz, nüchtern, klar, trat aus der Kirche aus und lebte weiter bis zu seinem Ende, auf das, da war er sicher, kein Wunder folgen würde. David Ensikat