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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Dass die Linken so gar keinen Sinn für die Technik haben, das ärgerte ihn immer

Nachruf auf Arno Ernst (Geb. 1960)
Als Türsteher hätte er selten Probleme bekommen, groß war er, die roten Hosenträger spannten überm mächtigen Oberkörper. Wenn Arno im Gottesdienst aufstand, zum Altar ging und dort für einen Freund von den Anonymen Alkoholikern, um den es schlecht stand, eine Kerze anzündete, war eigentlich keine Predigt mehr nötig, es war schon so viel gesagt. Später, wenn sich ein kleines Grüppchen nach der Kirche zum Inder aufmachte, konnte auch wieder gelacht und geblödelt werden.
Ein Techniker war er schon lange, aber eigentlich ging es ihm immer um die Menschen. Als Schüler reizte ihn der Amateurfunk auf Kurzwelle, weil er ihm Kontakte in alle Welt eröffnete. Später, als sich wegen des Internets kaum noch jemand für die Funkerei interessierte, fand er sich mit anderen Übriggebliebenen zu einer Notfunkgruppe zusammen, um im Katastrophenfall, wenn alle Internetverbindungen versagen sollten, die lebenswichtigen Kommunikationswege aufrechtzuerhalten. Dafür übten sie jede Woche.
Mit der Familie hatte er es nicht leicht und die Familie mit ihm auch nicht. Der Alkohol spielte immer eine Rolle. Die Eltern starben früh, den Geschwistern näherte er sich erst am Lebensende wieder an. Bezugspersonen suchte er sich als Jugendlicher in der Hausbesetzerszene. Sein Herz schlug links, dass die Linken aber so gar keinen Sinn für die Technik haben, das ärgerte ihn immer.
Die Infrarottechnologie war sein Spezialgebiet. In den Achtzigern machte er sich damit selbstständig. Je ausgefeilter seine Produkte wurden, umso mehr interessierte sich auch das Militär dafür. Klar war er Pazifist, aber die Fachleute von der Bundeswehr bedienten seine Eitelkeit. Und Geld verdienen musste er schließlich auch.
Nach zwölf Jahren löste er aber seine Firma auf und begann als Entwicklungshelfer zu arbeiten, mal für die UN, mal für das Rote Kreuz, mal für die Weltbank oder für die Welthungerhilfe. Vor allem in Afrika und Asien war er unterwegs, um dort die Telekommunikation aufzubauen. Und wenn er schon mal da war, kümmerte er sich auch um ganz andere Dinge. In Usbekistan zum Beispiel setzte er sich für den Kartoffelanbau ein. Der Wasserverbrauch der Reisfelder ruinierte das Land. Wirtschaftsbosse sahen ihre Pfründe gefährdet, er wurde ausgewiesen und durfte froh sein, dass er keinem Auftragsmord zum Opfer gefallen war.
Aber die Gefahr war er gewohnt, so schien es jedenfalls. Im Sudan war er unterwegs und in Jugoslawien während des Krieges auch. Da fuhr er mit einer Karte zur Arbeit, auf der die verminten Areale verzeichnet waren. Einmal geriet er zwischen die Fronten; nur mit viel Glück überlebte er. Wenn Schüsse fielen, konnte ein großer Körper von Nachteil sein. Wenn er in brenzliger Situation einem Raufbold gegenüberstand, war er von Vorteil.
Arno lebte ein heftiges, gefährliches Leben, da trat Annette auf und versprach Heimat und Familie. Sie heirateten, zogen in ein niedersächsisches Dorf. Sie verdiente das Geld, er veredelte das Haus, knüpfte Kontakte zur Nachbarschaft, engagierte sich ehrenamtlich. Doch aus der Idylle wurde Enge. Alkohol und Depression hatten ihn im Griff. Die Ehe wurde geschieden; Arno ging nach Berlin, wo sein Sohn aus einer früheren Beziehung lebte.
Vom Suff war er mithilfe der Anonymen Alkoholiker weggekommen. Immer wenn er ein weiteres Jahr trocken war, feierte er das als einen neuen Geburtstag. Er war Mitglied in mehreren AA-Gruppen; da, wo er selbst Hilfe gefunden hatte, half er jetzt anderen. Gern auch mit dem harten Rat: „Solange du meinst, mit dem Alkohol leben zu können, musst du es tun. Erst wenn du ganz unten bist und wirklich aufhören willst, macht es Sinn, weiterzureden.“
Als er vor eineinhalb Jahren seine Krebsdiagnose bekam, blieb er selbstverständlich dabei. Sie hatten jetzt Angst um ihn - aber auch um sich selbst: „Was soll aus uns werden, wenn Arno nicht mehr da ist?“ Selbst in den Tagen kurz vor seinem Tod trafen sich die Selbsthelfer noch an seinem Krankenbett, um sich Mut zuzusprechen.
Hätte man Arno in seiner Hausbesetzerzeit vorhergesagt, dass er mal zum regelmäßigen Gottesdienstbesucher werden würde, er hätte gelacht. Das war bei Astrid nicht anders. Aber genau da haben sich die beiden kennengelernt, in der Kreuzberger Ölbergkirche. Die war groß genug für ihren weiten Horizont, für ihre Zweifel, für ihren Hang zum Buddhismus mit einer Ecke für Musik, Klappehalten und Besinnlichkeit. Arno im Krippenspiel, das war der Höhepunkt seiner kirchlichen Karriere. Ort der Veranstaltung: Markthalle Neun. „Glotzt nicht so romantisch“ stand auf der Einladung zum Heiligabend-Gottesdienst, und es sollten bitte nur die kommen, die mit Weihnachten nicht viel anfangen können. Maria und Josef auf der Flucht, verfolgt von der Ausländerpolizei, Arno kommt auf seinem schweren Motorrad in die Halle, hält den Abschiebebescheid hoch und brüllt die Besucher an, die Familie herauszugeben. Sie lassen ihn nicht vor, fluchend fährt er ab. Riesenapplaus und Musik!
Er hatte so viele Gefahren überstanden, da würde er das mit dem Krebs auch hinkriegen, da war er sicher. Einen Arno haut so leicht nix um. Sieht man doch. Umso intensiver nahm er ab sofort das Leben wahr. Im Gottesdienst zündete er Kerzen an, anderswo brachte er die kleinen Dinge zum Leuchten, die das Leben schön machen. Zu Pflanzen und zu Kuscheltieren hatte der massive Mann ein erstaunlich zärtliches Verhältnis. Er gab ihnen Namen. Die Anthurie, die er zum Geburtstag bekam, wurde Arthur getauft. Das kleine Zebra hieß Zula, der Schlafbär Knuti - sie begleiteten ihn am Schluss auf die Palliativstation.
Monate zuvor hatte er sich nach Grabstellen umgeschaut und überlegt, wie das werden würde, wenn der elende Krebs doch siegen sollte. Sterben ist der Ernstfall, aber nicht der Schlusspunkt. Was kommt dann? Er hätte es gern gewusst. Ein Pfarrer und eine Buddhistin sollten beten an seinem Grab, so viel stand fest.
Der Grabstein wird ein massiver Findling sein, für die Gravur gibt es klare Anweisungen. Sein Name, Arno Ernst, und seine Funkerkennung: DF3DS, dazu das Kürzel s. k., das steht für silent key. Arno funkt nicht mehr. Jörg Machel
Alter Garnisonfriedhof an der Kleinen Rosenthaler Straße in Berlin-Mitte. Foto: Doris Spiekermann-Klaas