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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Um Würde geht es, mögen die Dinge noch so beschwerlich sein

Nachruf auf Brigitte Krau (Geb. 1943)
Komm rein, ich hab' hier was für dich.“
Die Besucherin ist kaum über die Schwelle, da bekommt sie schon ein Geschenk in die Hand gedrückt. Einen antiquarischen Kunstbildband, eine Billie-Holiday-Aufnahme, ein weiches Plumeau. „Teuta“, sagt die Beschenkte - niemand mehr kann sagen, wer diesen Kosenamen ersann - „Teuta, immer findest du diese schönen, genau richtigen Dinge.“ Alle Freundinnen wissen, wie begrenzt Brigittes Budget ist. Bescheidene Wohnung mit Fenster zum Hof, bis zu ihr herunter schafft es die Sonne nicht. Minirente. Altersarmut. Frauenprekariat. Deutschland 2017.
Dabei ist sie damals, 1970, wegen der Frauenbewegung aus dem Schwarzwald nach Berlin gekommen. Auf dieser Insel konnte man am freiesten gegen die Männerherrschaft angehen, im feministischen Gesundheitszentrum, als Mitarbeiterin der Zeitschrift „Clio“, in der Kampagne „Lohn für Hausarbeit“.
Brigitte wusste, wie sich Mittellosigkeit anfühlt. Ihr Vater war, wie es damals euphemistisch hieß, „im Feld geblieben“. Doch die Frauengemeinschaft, in der sie aufwuchs, hielt zusammen, sie, die Mutter, die Tante, die drei Cousinen. Nach der Mittleren Reife und einer Bankkauflehre wollte sie dennoch fort, denn es lag ihr mehr an Bildern und Skulpturen als an Konten und Krediten. Erste Station: Karlsruhe, Arbeit in einer Kunsthandlung. Zweite Station Berlin: Arbeit in einer Kunsthandlung. Feminist art, weibliche Identität, das interessierte sie. Die Bilder von Dorothea Weise. Frauen mit entblößten Brüsten, entblößter Scham, straffe Körper, verlebte Körper, präsent, aufrecht, und immer schaut mindestens eine mit festem Blick aus dem Bild heraus, direkt in die Augen des Betrachters. Um Würde geht es, mögen die Dinge noch so beschwerlich sein.
Die Dinge wurden beschwerlicher. Brigitte ging für eineinhalb Jahre zurück in den Schwarzwald, um ihre Mutter zu pflegen. Auch ihr selbst ging es nicht gut; sie litt stete, starke Schmerzen in allen Gliedern. Sie hörte auf zu arbeiten, Erwerbsunfähigkeit, eine lächerliche Rente. Die Zeilen ihrer Dichterfreundin Johanna Moosdorf, wie für sie erdacht: Immer von neuem begonnen / Woher nur nahmst Du den Mut / geliebt gelitten zerronnen / Aufgerafft Neues ersonnen / Gehofft: es wird wieder gut.
Oft war es gut, mit all den Menschen um sie, einem Freundesnetz, das sie auffing, in weniger guten Zeiten. Ein Nachbar fuhr sie und ihren toten Kater ins Brandenburgische zu einem Tierfriedhof. Brigitte war ein Katzenmensch, fütterte alle Streuner in der Nachbarschaft, hatte den Kater bei sich aufgenommen. Andere Freunde gingen mit ihr in Konzerte, denn sie liebte Musik, Jazz und Klassik.
Sie ihrerseits schaute für ihre Freunde in den Himmel, denn die Astrologie war für sie ein weiter, aufschlussreicher Raum. „Verschiebe deine Reise lieber um einen Tag“, sagte sie, „heute stehen die Sterne nicht günstig.“ Dabei betrieb sie keinen Glaskugelhokuspokus, sondern wälzte Literatur, in Astrologie kommt immerhin nicht nur der Stern vor, astéri, sondern auch das Wort, logos. Die kleinen Blicke in die Zukunft waren eine andere Art von Geschenk, wenn sie jemanden, während sie sprach, anschaute, mit ihren blauen Augen, dem leichten Silberblick, dem Gegenüber ganz zugewandt.
Doch schenkt kein Mensch unterbrochen. Wollte sie Nein sagen, sagte sie nein, zuweilen etwas ungelenk, auch stur.
Sie wusste, sie würde es nicht schaffen, zu mächtig in ihr war der Krebs. Sie verschenkte jetzt alles, Stück für Stück ihres Hausstandes, am Ende eine Aufnahme von Mozarts Requiem. „Kinder, lasst mich gehen“, bat sie. Eines nur war wichtig: nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause sterben, unabhängig, in Würde. Sie starb zu Hause, unabhängig, in Würde. Tatjana Wulfert