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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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„Es tut mir leid, wenn nicht immer alles so gut geht“

Nachruf auf Petra Loewenau (Geb. 1963)
In Gropiusstadt“, so schwärmen Bewohner, „ist man dem Himmel näher.“ Und manchmal auch der Hölle. Im „Haus der Mitte“ rauchte schon Christiane F. ihren ersten Joint. Da wurde auch Petra angefixt. Was denkt sich ein Dealer, wenn so ein Mädchen auf ihn zukommt? Er sieht doch ihr Ende schon klar vor sich. Dealer sind ja nicht dumm. Sie wollen was verkaufen. Sie wollen Kunden, die immer wiederkommen. Petra kam immer wieder. Oder waren es Freunde, die sie an die Nadel brachten? Sie spritzte sich meist in den Hals, schlang einen Schal darum, schützte sich vor den Blicken der anderen. Die Eltern, beide Trinker, hatten die kleine Petra bei einer Tante abgegeben. Den Vater sah sie noch ab und an, sie ging auch zu seiner Beerdigung. Von der Mutter wollte sie nichts mehr wissen. Von Bruder und Schwester auch nicht. Sie war nicht gewollt. Und sie hat ihr eigenes Kind nicht gewollt. Als sie schwanger wurde, in der harten Drogenzeit, hat sie abgetrieben.
Ihr erster richtiger Freund brachte sie zur „Christlichen Arbeiterjugend“. Da ging es bergauf. Sie hat den Realschulabschluss nachgemacht, eine Ausbildung als Zierpflanzengärtnerin abgeschlossen, arbeitete als Floristin bei „Blume 2000“. Aber das Regelmäßige lag ihr nicht. Im Selbsthilfeverein „Kollektive Hand“ fand sie sich besser zurecht. Sie hat getischlert, gemalert, Wohnungsrenovierungen organisiert und die Transporte gemanagt. Führerschein hatte sie ja. Und Fernweh. Sie spielte Gitarre und Akkordeon und hat gerne gemalt, weil das ihrer Seele ein wenig Freiraum gab. Als sie dann Ulf traf, ihre große Liebe, begann die beste Zeit ihres Lebens, 1984 bis 1991, die glücklichen Jahre.
Sie träumte nicht mehr, sie lebte ihren Traum gemeinsam mit Ulf. Sie kauften einen VW-Bus, bauten ihn aus, fuhren nach Afrika. Von Marokko bis Togo. Auf der Reise hat sie den Entzug geschafft. Da war die Welt plötzlich so weit, der Horizont so offen, die Wüste endlos wie das Meer. Angst hatte sie keine auf der Reise, aber nach sechs Monaten merkten beide, dass die Welt in der Fremde auch nicht freier ist als daheim.
Sie kehrten zurück und gingen bald darauf getrennte Wege. Petra war allgemein nicht so ein fröhlicher Mensch, eher nachdenklich. Und als das mit Ulf auseinanderging, da hatte sie nichts mehr, woran sie wirklich glauben konnte. Sie fing wieder mit den harten Drogen an. Versuchte wieder loszukommen. „Entgiftet und entzogen. Die größten körperlichen Anstrengungen hab ich hinter mir und fühle mich so mittelmäßig.“ Fing wieder an. Der langwierige Prozess, „nämlich meine Gedanken von der Droge fernzuhalten bzw: mich ständig damit auseinanderzusetzen und mich auf mein neues Leben zu konzentrieren.“ Die Sehnsucht nach der Ferne blieb, sie reiste nach Norwegen, nach Portugal, aber wenn die Drogen alle waren oder die Ersatzstoffe, dann musste sie heim. Sie hat geheiratet, aber das war mehr ein Freundschaftsdienst. Sie musste ihr Akkordeon verkaufen, ihre Gitarre, sie verlor die Wohnung und lebte auf der Straße.
Ihr eigentliches Zuhause wurde die U 7, da hat sie die Motz verkauft, und wenn die Sonne schien, saß sie vor dem Rathaus Neukölln, da kannten sie viele, die Motz-Petra. Zuletzt ging sie nur noch betteln, ihre Brille hatte sie verloren, sie sah das Elend gar nicht mehr. Zu Freunden wollte sie nicht, denn die sollten sie anders in Erinnerung behalten. Ulf hat für sie an Weihnachten und an ihrem Geburtstag immer ein Päckchen bei „Fixpunkt“ abgegeben. Da traf sie sich manchmal mit anderen Süchtigen.
Als ihre arabische Freundin starb, schwand der Lebensmut dahin. Haut und Knochen war sie, keine Zähne mehr, nichts geblieben, außer einigen Erinnerungen an die gute Zeit.
Im Februar ist sie gestorben. Woran? Die Familie hat es nicht interessiert. Und Ulf durften die Behörden keine Auskunft geben. Vielleicht ist sie erfroren. Der Februar war kalt. Sie bekam ein Armengrab. Ulf hat es zufällig entdeckt, als er das Grab eines Bekannten suchte. Er legte ihr Nelken aufs Grab und ließ ein Requiem in St. Michael für sie beten. Er hat auch all ihre Briefe aufgehoben. „Rate mal, wer an Dich denkt und der Post das Porto schenkt“, schrieb sie gern als Absender drauf, oder „Na, wer schon?“ Briefe, auf denen ein Herz ausgemalt wurde. Mit dem P.S. „Ich liebe dich. I love you“ auf kariertem Papier. Entschuldigungsbriefe: „Es tut mir leid, wenn nicht immer alles so gut geht.“ Bunte Briefe mit Segelbooten und Vögeln mit sehr weiten Flügeln. „Es gibt so viel und nichts, was ich Dir sagen will. Geschichten die mir niemand glaubt.“
Und ein Abschiedsbrief: „Hallo Ulf“, steht da in ungelenker Schrift. „Du weißt ja das ich im Briefe schreiben nicht so gut bin, aber da ich desöfteren an Dich denke, muß ich Dir ein par Zeilen senden, ich glaube sie werden Dich erfreuen Hin und wieder schaue ich mir die Fotos von unserer Afrika Reise an, sind schöne Fotos z. B.: in der Wüste Fußball spielen.“ Gregor Eisenhauer