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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Die Kunden, Arbeiter zumeist, brachten ihm Zigarren und Hallorenkugeln

Nachruf auf Peter Schisler (Geb. 1947)
Peter Schisler schaffte es, Dinge miteinander in Einklang zu bringen, die man oft im Widerstreit glaubt: Arbeit und Genuss, Ästhetik und Pragmatismus, Bescheidenheit und Sinnesfreude. Der Ästhet liebte gute Haarschnitte, Rinderfilet und Oldtimer. Der Pragmatiker trug immer ein Messer bei sich, um jederzeit Wasserschläuche im Auto wie auch Salami-Würste durchsäbeln zu können.

Den Sinn fürs Praktische mag er von seinem Vater geerbt haben, der Schweißer war und stolzer Besitzer des ersten Motorrads von Lautzkirchen, dem saarländischen Dörfchen, in dem Peter Schisler seine Kindheit verbrachte. Vor die Frage gestellt, welchen Beruf er lernen wollte, traf Peter Schisler eine kluge Entscheidung: Er wurde Friseur. In diesem Beruf konnte er Handwerk und Ästhetik gut verbinden.

Der Pragmatiker flüsterte ihm allerdings ein, sich auf Herrensalons zu spezialisieren, wahrscheinlich versprach er sich davon unkompliziertere Frisuren und Gespräche.

Weil er sich kaum etwas Abstoßenderes denken konnte als brüllende Vorgesetzte und stumpfen Drill, flüchtete er 1965 vor der Bundeswehr nach West-Berlin: Für ihn ein Exerzierplatz der Lebensfreude. Den Reichtum, den er sich tagsüber im Friseursalon verdiente, teilte er des Abends großzügig mit seinen Freunden.

Ungefähr sieben Jahre währte dieses Leben. Dann erreichte ihn ein Ruf seiner Mutter, die fand, es sei an der Zeit, aus der ummauerten Stadt zurückzukehren in die saarländische Wirklichkeit. Sie bot ihm Geld zur Gründung eines eigenen Salons. Peter Schisler nahm an. Bald prangte hinter seiner Fensterscheibe das Schild: „Aushilfskräfte gesucht“.

Es erschien eine junge, dunkelhaarige Frau. Einträchtig schnitten die beiden sprödes Herrenhaar, einträchtig fuhren sie wochenends in seinem Oldtimer über die Landstraßen, einträchtig beschlossen sie nach der Geburt einer Tochter, das Saarland zu verlassen um sich des Berliner Wildwuchses anzunehmen.

In der Moabiter Markthalle eröffneten sie den „Marktfriseur“. Ein Herrensalon wie aus dem Bilderbuch: getäfelt mit Mahagoniholz und ausgestattet mit rotledernen Sesseln. Es wurden gewärmte Handtücher gereicht, man verstand sich auf das Rasieren mit dem Messer und auf das Schneiden mit der Hand.

Der Friseurmeister selbst trug einen gezwirbelten Schnurrbart, war gekleidet wie ein englischer Lord und trotz seiner ruhigen, zuhörenden Art immer für ein Späßchen gut. Es kam vor, dass er sich inmitten des Frisierens kommentarlos eine Clownsnase überstülpte und weiterschnitt, als wäre nichts.

Die Kunden, Arbeiter zumeist, brachten ihm Zigarren und Hallorenkugeln mit. Sie vertrauten seiner sicheren Hand und seinem unkomplizierten Wesen.

So wurde im Laufe der Jahre aus dem Marktfriseur so etwas wie der geheime Meister einer kleinen Dorfgemeinschaft. Schereklappernd interessierte er sich nicht nur für das Haupthaar, sondern auch für die Glücks- und Pechsträhnen seiner Kunden, deren Biografien er kontinuierlicher begleitete als manche Ehefrau. Wenn er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern Urlaub machte, hatte er ein schlechtes Gewissen.

Abends legte er sich auf das Sofa, ließ sich ein paar Stücke ausgesuchter Schokolade auf der Zunge zergehen, zündete eine Zigarre an und nahm sich ein Buch vor. 300 Seiten las er in zwei Tagen. Geschult von den Geschichten seiner Kunden, war er offen für alles, ob es nun die Autobiografie eines südamerikanischen Taxifahrers war oder ein Krimi.

Er war zufrieden mit dem Leben, das er führte. Weitere Filialen eröffnen? Manchmal dachte er darüber nach, doch woher hätte er dann die Zeit und die Ruhe nehmen sollen für den Genuss?

Völlig überraschend wurde bei ihm Leukämie festgestellt. Schuld an seinem Tod, der ihn nur drei Wochen nach der Botschaft ereilte, war jedoch nicht der Krebs. Nach der ersten Chemotherapie, die der Anfang einer langen Behandlung sein sollte, waren alle Krebszellen verschwunden. Gelungen war Peter Schisler dies, da war er sich sicher, mit einer imaginierten Saufeder, einer Jagdspießwaffe, mit der er die Krankheit niedergerungen hatte. Er starb an einer Blutvergiftung, hervorgerufen durch die Chemotherapie.

Noch immer kommen Kunden, Zigarren oder Hallorenkugeln im Gepäck, mit denen sie nach alter Gewohnheit ihren Meister, der sie immer mit einer guten Frisur und einem noch besseren Lebensgefühl entließ, beglücken wollen. Er war doch eben noch da! Anne Jelena Schulte