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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Kein Adonis, aber ein Draufgänger. Auch geschäftlich

Nachruf auf Peter John (Geb. 1939)
Was macht aus einem kleinen Geschäft ein gutes Geschäft? Der Besitzer muss drin leben, muss sein Sortiment kennen, ständig nach Neuem suchen und es seinen Kunden enthusiastisch anpreisen. Gerade im Lebensmittelhandel macht das den entscheidenden Unterschied und lockt Kenner von weither an, vorbei an Dutzenden von Supermärkten. So war es in Frohnau: „Feinkost-John“ am Zeltinger Platz war ein Treffpunkt für alle, die vom Essen mehr als nur Sättigung erwarten.
John kam nicht aus Berlin, das hörte man seiner leicht schwäbischen Sprachmelodie an, aber diese Herkunft befähigte ihn, in der ummauerten und selbstzufriedenen Stadt ein Gespür für ferne Lieferanten und ungewöhnliche Qualitäten zu entwickeln. Sein Leben hatte zu Kriegsbeginn in Stuttgart begonnen - alles andere als hedonistisch: Mutter und Schwester kamen bei einem Luftangriff ums Leben, da war er drei.
Der Vater, Vertreter für Hüte, überließ den Jungen sich selbst und der Stiefmutter. „Ich bin auf der Straße aufgewachsen“, sagte John später. Nach dem Umzug nach Frankfurt wuchs der Ehrgeiz. Er begann mit 14 eine Lehre, Einzelhandelskaufmann bei „Schade und Füllgrabe“, dem großen Einzelhandelsunternehmen der Stadt. Vom ersten Lehrgeld kaufte er eine Flasche deutschen Weißwein - eine Richtungsentscheidung, wie sich später zeigen soll. Denn als er stirbt, sagen seine Freunde: „Er ist im Rieslinghimmel angekommen“.
Mit 17 zieht er nach Berlin, wird Verkäufer in einem Hermsdorfer Fischladen und verdient 40 Mark im Monat, Kost und Logis frei. Er hat hart gearbeitet, sagen seine Angehörigen, weil er um die Anerkennung kämpfte, die ihm sein Vater nie geschenkt hatte.
Und er gönnt sich auch was, nämlich einen britischen Roadster, den „Austin Healey“ mit den Froschaugen. Beim Tanzen in Italien lernt er Birgit kennen, eine angehende Kinderkrankenschwester, die er fortan mit ausschweifenden Liebesbriefen eindeckt. „Ein unheimlich charmanter Mann,“ erinnert sie sich, „kein Adonis, aber ein Draufgänger“.
Auch geschäftlich: Mit 24 macht er sich selbstständig, handelt auf Berliner Wochenmärkten mit Fisch. Ein Jahr später kommt Birgit nach Berlin zum Heiraten und steigt ins Geschäft ein. Drei Jahre später eröffnen sie in der Tegeler Markthalle einen Fischladen, und die Tochter Sandra, gerade geboren, wächst hinter der Theke auf, ihre sieben Jahre jüngere Schwester Nina macht es später genau so.
Zu Peter Johns Haus in Wittenau gehört ein Gartenhaus, dort lässt er eine Küche einbauen, in der seine Frau jeden Tag 40 Salate zubereitet. So geht es, bis 1985 die Tegeler Markthalle umgekrempelt wird. Das florierende Kleinunternehmen muss umziehen und landet im S-Bahnhof Frohnau. Er verkauft oben, sie arbeitet in einer Küche auf Bahndamm-Ebene, gut, dass es einen Fahrstuhl gibt. Fisch wird zum Nebenthema, denn John entdeckt die Welt der französischen und italienischen Spezialitäten, der Würste und Schinken, und er entdeckt den Wein. Alles viel zu eng da oben.
Aber Peter John weiß gut genug, wie man mit dem Kopf durch die Wand kommt. Um die Ecke, am Zeltinger Platz wird 1992 ein Laden frei, zwei Ebenen, viel Platz. Oben kommt ein kleines Stehbistro rein, unten die Delikatessen-Theke, die immer mehr unter den Druck der wuchernden Weinkartons gerät. Alles schiebt sich hin und her, bis es wieder genauso eng ist wie im Bahnhof, Obst und Gemüse breiten sich auf dem Gehweg aus, drinnen stapelt sich alles Mögliche, ein wenig Frischfisch liegt bald wieder da, später auch Fleisch, von Meister Bachhuber persönlich geliefert.
Irgendwie schafft es John, das Untergeschoss komplett zum Weinladen umzubauen. Er hat sich weitergebildet, pflegt Winzerkontakte, fährt auf Messen, trifft sich mit den „Frohnauer Weinspechten“ und tritt dem „Weinbund Berlin“ bei, der Kooperation der edelsten Händler der Stadt. „Weintraum Frohnau“ nennt er seinen Keller, in dem er auch Proben abhält, immer im Mittelpunkt, geschäftig und am liebsten in schrill gemusterten Hemden oder Motto-T-Shirts mit Aufschriften wie „Meine Zeit kommt noch“.
Was eine schöne Hoffnung bleibt. Der Wanderer, Kletterer, Radfahrer, Tennisspieler und Jogger wird von seinem Herzen gebremst, muss Operationen hinter sich bringen. Ende 2007 ist Schluss mit dem Laden, der irgendwie auch das Herz Frohnaus war. Seine Tochter Sandra hat da die Firma schon übernommen und führt sie bis heute als Catering-Unternehmen fort. Auch Peter John macht weiter, so ruhig, wie er es gerade kann, berät Kollegen, moderiert Weinproben, veranstaltet Seminare, muss immer wieder ins Krankenhaus. Er spielt mit den Enkelkindern, den Hunden. Feiert im August 2014 goldene Hochzeit mit Rippchen und Äppelwoi an einer langen Tafel im Garten, stolz auf die Familie, stolz auf das, was sie erreicht haben.
Das Ende kommt dann rasch, überraschend, als eigentlich nur eine Routineuntersuchung ansteht. Die Familie holt ihn nach Hause und ist in den letzten Stunden bei ihm. Dann: Rieslinghimmel. Die Trauerrednerin hat noch ein anderes Bild parat: Peter John, sagt sie, war ein leidenschaftlicher Tänzer durch das Leben. Bernd Matthies