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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Sein Vater tobte. Einen richtigen Beruf sollte er lernen

Nachruf auf Joachim Hübner (Geb. 1945)
Vor Nicole kam Hübi. Vor der hellen Stimme, der Rüschenbluse, dem Vogel, der zu hoch hinauswollte kamen ein Bass, ein rosa Seidentuch, eine Militärjacke und „Das Lied von der Bundeswehr – Rot, Blond und schnuckelig.“ Das Hitparadenpublikum ließ sich an diesem 15. Juni 1981 keinerlei Irritation anmerken. Vielleicht lag es an der eingängigen Melodie, vielleicht am zackigen Rhythmus, jedenfalls klatschten die Leute ausgelassen mit, trotz des Textes, „Tachchen Herr Spieß, ich heiße Hübi und bringe meine Rockband mit ? Sie woll’n hier wohl mal was andres hören als immer diese Marschmusik.“

Genau genommen war der Auftritt in der ZDF-Hitparade ein Witz und ein Job, es ging um ein bisschen Provokation und auch ums Geldverdienen. Denn eigentlich liebte Joachim Hübner den Sound der amerikanischen Westküste, Crosby, Stills and Nash, Neil Young, Steely Dan und viel früher noch, Anfang der Sechziger, den Beat, als er in der stadtbekannten „Twangy Gang“ das Schlagzeug spielte und sang, in Stiefeln, die bis über die Knie reichten.

Sein Vater tobte. Einen richtigen Beruf sollte er lernen, ein rechtschaffenes Leben führen, nicht dieses flatterhafte. Er, Joachim, Sohn des Pächters des Parkrestaurants im Steglitzer Stadtpark, habe eines Tages selbst der Pächter des Parkrestaurants zu werden. Und vorher eine Hotelausbildung zu absolvieren. Joachim machte die Ausbildung. Aber dann reichte es mit den Zugeständnissen. Er studierte noch Musik.

Hörten die Leute ihn singen, waren sie verblüfft, wie aus diesem schmalen Körper, der auch später kein Gramm Fett angesetzt hatte, so kraftvolle Töne kommen können. Er hat den tiefsten Bass Berlins, sagten die Musikerkollegen und engagierten ihn für Plattenaufnahmen. Er trommelte und sang für Frank Zander, für Roland Kaiser und Udo Jürgens. Und wenn man aufmerksam ist, erkennt man seine Stimme im Chor von „Big in Japan“, dem größten Hit von „Alphaville“.

1984, als der Song eingespielt wurde, gab es seine eigene Band, „Wednesday“, eigentlich nicht mehr, zufällig trudelten die Musiker einer nach dem anderen in den Aufnahmeraum. Und begannen, sich an die alten Zeiten zu erinnern: an ihre Auftritte Mitte der Siebziger im „Folk Pub“ in der Leibnizstraße, immer mittwochs; an das Konzert in der Deutschlandhalle, wo sie vor Frank Zappa spielten, oder jenes im Sommer 1980, am Reichstag, als sie die Vorband von „Barclay James Harvest“ waren und ihnen 100 000 Menschen zuhörten. Aber warum sollten sie nur zurückblicken? Für Sentimentalitäten waren sie noch zu jung. Sie versuchten es noch einmal zusammen, für einige Konzerte, bis die harmonischen Melodien die alten Dissonanzen in der Gruppe nicht mehr übertönen konnten.

Joachim machte weiter Musik, spielte in verschiedenen Bands, komponierte, sang für Disney-Produktionen, für „Arielle“ und „Aladin“ und den Titelsong von „Spongebob“. Er führte genau das Leben, für das er sich damals mit seinem Vater überworfen hatte, unabhängig und unbeständig, ein Leben, in dem man Dinge immer wieder versuchen konnte, zwei Jahre in Kalifornien leben, in der Nähe seiner Helden, eine Frau finden, eine Tochter bekommen und seine Freiheit doch mehr lieben, eine andere Frau treffen, einen Sohn bekommen und wieder weiterziehen.

Um dann, nach Jahren, zu entdecken, dass der eigene Vater doch tiefere Spuren hinterlassen hat. Als sein Sohn verkündete, er wolle Musiker werden, schlug er ihm tatsächlich vor, besser einen richtigen Beruf zu erlernen. Er wusste immerhin ganz genau, wie unsicher das Bühnenleben ist, ein wenig Geld braucht man eben doch. Er begann, Dialogbücher fürs Fernsehen zu schreiben und gründete 1999 die Musikschule „TonArt“.

Bisher hatte Joachim nur vereinzelt Schlagzeugunterricht erteilt, seine Idee aber war, die Sache größer aufzuziehen, andere Lehrer, auch für andere Instrumente, zu gewinnen. Eines Abends, bei einem Bier, entwickelte er zusammen mit einer Freundin ein Konzept, drei Monate später ging es los.

„Mit 15 mehr Bock auf solide Rock-Musik statt Techno?“, fragte er. Oder: „Mit 50 endlich Zeit, die Hits der Beatles nachzuspielen?“ Und nach und nach kamen sie, die 15-, die 50- und auch die 5-Jährigen. Ausgezeichnete Lehrer wurden eingestellt, solche, die ihre Schüler auch ermutigen zu komponieren und zu improvisieren. Ob Bach und Brahms oder Jazz oder seltene Instrumente wie die Mandoline und das Cajón, für alles sollte Platz sein. Joachim verfasste eine Schlagzeugschule und wollte im letzten Sommer unbedingt wieder mit dem Unterricht anfangen, nach der Diagnose Darmkrebs, nach Operation und Chemotherapie. Doch seine Kraft schwand. Ein Jahr lang kam sein Sohn jede Woche zu ihm, kochte, putzte, saß an seinem Bett, sprach, hörte zu. Ein schönes Jahr, auch.

Joachims Grab liegt auf dem Friedhof in Stahnsdorf. An einer Kiefer liegt ein Stein, nicht groß, und auf dem Stein ist ein Notenschlüssel. Tatjana Wulfert