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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Sie warnte ihn, sie könne nicht kochen, waschen, nähen, bügeln

Nachruf auf Lona Jakob (Geb. 1922)
Mit 91 hatte sie einen Oberschenkelhalsbruch. Zwei Monate später stand sie wieder auf der Tanzfläche, zum sonntäglichen Tanztee in „Clärchens Ballhaus“. Sieben Zentimeter hoch waren ihre Absätze. Am liebsten tanzte sie den Cha-Cha-Cha.
Als sie fünf war und im Mittelgang einer Neuköllner Kirche grazil und gelenkig vor sich hin tanzte, wurde sie fürs Ballett entdeckt. Das war 1927, das große Karstadt-Haus am Hermannplatz war im Bau, und auf dem Tempelhofer Feld wurde Fußball gespielt. Auch Lona war hier gern; sie wuchs ganz in der Nähe auf, in der Hermannstraße 31.
Schon bald nach ihrer Ausbildung trat sie als „Lona, die charmante Tänzerin“ auf, 1936 im Admiralspalast zusammen mit Johannes Heesters in „Frau Luna“.
Ihr Vater war sehr früh gestorben, und die kleine Restfamilie musste mit wenig Geld auskommen. Lona störte es nicht, dass sie ihre Kleidung nicht bei Karstadt kaufen konnte, sondern von der Wohlfahrt erhielt. Schon damals sah sie in allem nur das Gute. Später erklärte sie: „Was ich nicht hören will, das höre ich auch nicht aber sonst höre ich gut.“ Und wie sie sich freuen konnte! So sehr, dass manch einer sich nicht mehr traute, ihr etwas zu schenken, denn ihr Dank hörte niemals auf.
Ein paarmal hatte sie tatsächlich großes Glück im Leben. Im Krieg etwa, als sie mit ihrer Tanzgruppe zu einer kleinen Tournee vor Frontsoldaten auftreten sollte. Da hatte sie so ein komisches Gefühl, und außerdem ging es ihrer Mutter nicht so gut. Lona verließ das Ensemble und blieb in Berlin. Die Tanzgruppe kam vom Fronteinsatz nicht mehr zurück. Der Bus wurde von einer Mine zerfetzt. Siehste mal, sagte Lona trocken.
In der Liebe fand sie das große Glück erst spät. Mit 26 verliebte sie sich in Will, der eigentlich Wilhelm hieß. Als er sich ihr vorgestellt hatte, verstand Lona nur die erste Silbe, war zu schüchtern nachzufragen und blieb dann bei der Kurzform. Das war beim Tanz in „Clärchens Ballhaus“ in der Auguststraße, Berlin Mitte. Da war sie oft und lief die Strecke von Neukölln meistens zu Fuß, um das Fahrgeld zu sparen. Man kann nicht sagen, dass Will sie im Sturm eroberte, das war nicht seine Art. Er beeindruckte sie mit einem Lied. „Schau mich bitte nicht so an“, sang er für sie, sämtliche Strophen. Und dann war er auch noch so höflich! Nach einer angemessenen Frist fragte er sie: „Wollen wir uns morgen verloben, Fräulein Dömland?“ Der Heiratsantrag folgte sieben Jahre später. Sie warnte ihn, sie könne nicht kochen, waschen, nähen, bügeln. Mit dem Staubtuch elegant wedeln, das vielleicht. Will wollte sie trotzdem. „Na ja“, seufzte Lona später, wenn sie davon erzählte. Wenn sie die Kartoffeln anbrennen ließ, wurde eben etwas mehr abgepellt.
Der Tanz spielte dann lange Jahre keine Rolle mehr. Lona bekam eine Tochter, war Hausfrau und mit 57 Jahren bereits Witwe.
Sie war 74, da traf sie im 11er-Bus einen Herrn, gut anzuschauen, mehr als 20 Jahre jünger. Er winkte ihr beim Aussteigen zu, weil sie ihm so freundlich hinterhergesehen hatte. Wochen später liefen sie sich in Lankwitz wieder über den Weg und kamen ins Gespräch. Martin hieß er und erzählte, dass er jemand für seinen Haushalt suchte. So wurde Lona nicht nur Martins gute Fee im Haus, sondern auch eine treue Freundin, mit der er fortan Berlin erkundete.
Das mit dem Tanzen war seine Idee. Er hatte Lust, die Standardtänze noch mal richtig zu lernen. Lona, inzwischen 87, war selbstverständlich gleich dabei. Sie besuchten die „Tanzschule Keller“ und tanzten den Cha-Cha-Cha, den Walzer und die Rumba. Leicht wie eine Feder schwebte die nur nach Jahren alte Dame mit Martin übers Parkett, bald auch wieder in ihrem geliebten Ballhaus. Der Tanztee am Sonntag war Pflicht und Kür, auch wenn es besonders heiß oder bitter kalt war, erschien sie pünktlich 15 Uhr im Tanzsaal.
Erst im letzten Jahr wurde sie schwächer. Martin holte sie aus dem Altersheim, in dem sie nach einem Krankenhausaufenthalt gelandet war, zu sich nach Hause: Anziehen, mitkommen! Die fesche Lona zwischen den dahindämmernden Menschen, so ganz ohne Ansprache? Unmöglich! Nun war er ihr guter Geist, besorgte sich ein Babyphon, damit er sie auch nachts hören konnte, und pflegte sie bis zu ihrer letzten Stunde am 19. Januar. Marion Kiesow