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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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War doch ihre Kneipe. Konnte sie so lang drinsitzen, wie sie wollte

Nachruf auf Margit Haßdenteufel (Geb. 1954)
Wenn Taki abends von der Probe kommt, läuft er die Gneisenaustraße runter, an dem asiatischen Spätkauf vorbei, genau da, wo früher das „Bermuda“ war und wo jetzt die ganzen Typen mit den Bierflaschen stehen, und dann denkt er: Verdammt, das könnten alles unsere Kunden sein! Warum musste Margit damals nur auf Mark hören, diesen koksenden Idioten!
Vor zehn Jahren hat sie das „Bermuda“ zugemacht. Taki hätte das Ding weiterbetrieben, mit Thomas zusammen oder mit wem auch immer, sie hätten Margit einen Tausender im Monat gegeben, davon hätte sie gut leben können, besser jedenfalls als von Hartz IV, aber Margit wollte das nicht, die wollte einen Schnitt. Das war so sinnlos, dass eigentlich nur ihr Typ, dieser Mark, schuld sein konnte. Was hat sie bloß an dem gefunden? Aber sie hatte ja so oft so dämliche Männer. Thomas war in Ordnung und Mario zum Schluss auch. Aber beim Rest haben sich die Freunde immer gefragt, was das nun wieder sollte. Diese schöne, große Frau und diese durchgeknallten Typen.
Die meisten sind vor ihr draufgegangen, Mark auch. Kein Wunder irgendwie, sterben ja wie die Fliegen, die ganzen Suffköppe und Raucher. Von den „Bermuda“-Stammgästen, den „Stammis“, leben auch nicht mehr viele.
Als Taki Margit kennengelernt hat, war sie noch nicht lange in Berlin, um 1980 rum muss das gewesen sein. Er kam in die WG von Ulli - oh Gott, Ulli, über den dürfte man eigentlich gar nicht mehr reden, der war so durchgeknallt. Margit wohnte damals bei dem in seiner riesigen Fabriketage und stand auf einmal vor dem kleinen Taki: einsvierundachtzig hoch, die Hälfte davon Beine in knallengen Hosen, die Mähne leuchtend rot, das Gesicht heftig geschminkt, obwohl sie das kein bisschen nötig hatte. Eine Stunde mindestens hat sie jeden Tag mit der Schminkerei zugebracht, schwarze lange Lidstriche, bunte Lidschatten. Taki war natürlich von den Socken und ist heute froh, dass er bei ihr nie landen konnte. Sonst wären sie ja nicht die guten Freunde geblieben bis zum Schluss. Er ist damals mit ihr und dem wahnsinnigen Ulli um die Blöcke gezogen, von einer Kneipe in die andere, Ulli hat Schaufenster eingehauen, sich mit viel zu starken Kerls angelegt, Margit stand hilflos daneben, und Taki musste schlichten.
Margit war aus dem Saarland zuerst nach Marburg zum Studieren gegangen und dann nach Berlin zum Leben. An der Uni hatte sie sich wegen der Studentenjobs eingeschrieben, ansonsten wollte sie mal gucken, was die Welt zu bieten hatte. So wenig war das nicht. In Ullis Fabriketage probte mal Eric Burdon mit seiner Band. Immerzu gab es irgendwelche Konzerte. Es gab das „Yorckschlösschen“, die „Nulpe“, das „Delirium“, wo jeder irgendein Projekt hatte und bevor ers anging erst mal darauf anstoßen musste. Etwa die Idee von Taki, Ulli und Margit: Wenn man immerzu sein Geld in die Kneipen trägt, wäre es doch praktischer, eine eigene Kneipe aufzumachen, in die die anderen ihr Geld reintragen.
Ulli war für die Geldbeschaffung zuständig, 25 000 Mark, frag nicht, wie er die zusammenbekommen hat. Taki, der noch für Alba Laster fuhr, war der zuverlässige Organisator und Handwerker. Die schmucke Margit stellte den Kontakt zu den verkaufswilligen Inhabern der Kneipe auf der Gneisenaustraße her. Ulli und Taki sahen nicht so vertrauenswürdig aus, aber Margit gefiel ihnen. Die hatte Übung im braven Auftritt, weil sie regelmäßig ihre Eltern im Saarland besuchte.
In nur zwei Wochen renovierten sie den Laden, Wände weiß, Alufolie an die Decke, Palmen auf den Tresen, Plastikdecken in Neonfarben auf die Tische. Bei der Renovierung spielte Margit keine so zentrale Rolle. Als Taki sie bat: „Streich du doch mal das Klo“, hat sie tatsächlich angefangen, das Klo zu streichen statt der Klowände. Trotz allem, am 12. Februar 1982 öffnete das „Bermuda“, Kreuzbergs erste New-Wave-Kneipe. Es gab 100 Liter Freibier, was sich schnell rumgesprochen hatte, alle Kreuzberger Punks waren da. Als das Fass leer war und ab jetzt bezahlt werden sollte, waren alle weg und Margit und Taki und Ulli standen da und hofften, dass es anders werden würde.
Wurde es. Das „Bermuda“ entwickelte sich zum festen Bestandteil des Kreuzberger Umtrunkwesens - schon weil hier das Bier immer ein wenig billiger war als anderswo. Taki begründet das so: „Wir hatten ja selbst kein Geld und wollten einen Laden haben, in dem wir uns das Bier hätten leisten können.“ Außerdem boten sie als Erste im Kiez bayerisches Weizenbier an, weil der Freund eines Freundes regelmäßig mit dem Laster zwischen Berlin und Bayern pendelte. Sie haben es auch mit Essen versucht, es gab ja eine Küche. Aber das wurde nichts. Man kam mit dem Tablett kaum durch, weil es so voll war, und als dann das Wasserbad mit den Knackern austrocknete und die Knacker Bratwürste wurden, ließen sie es sein. Die bunten Tischdecken aus Plastik hatten sie auch längst abgeschafft; die sahen mit den Brandlöchern sehr schnell sehr hässlich aus, die weißen Wände waren gelb vom Nikotin, die Luft konnte man schneiden. Der kleine Ventilator über der Tür war sowieso ein Witz.
Wie man das erwarten konnte, gab es bald Stress mit Ulli. Er war jähzornig, schlug Margit, und dann ging es natürlich auch ums Geld. Er griff in die Kasse, er ließ sich Stück für Stück auszahlen und verkaufte außerdem seinen Anteil an Toni. Dann war er weg.
Als dann Toni an Aids starb, erbten dessen Eltern den „Bermuda“-Anteil, Margit bekam Geld von ihren Eltern, zahlte Tonis Eltern aus und war jetzt ganz allein „Bermuda“-Chefin. Taki fuhr inzwischen Taxi und arbeitete noch hin und wieder hinterm Tresen. Außerdem spielte er mit Thomas in einer Blues- Kapelle, die oft im „Bermuda“ auftrat.
Thomas war sieben Jahre mit Margit zusammen, so lange wie kein anderer. Arbeitete auch hinterm Tresen. Er hatte sie wirklich gern, aber wenn er sie um Mitternacht ablöste, fand er, dass sie nach Hause gehen sollte. Tat sie aber selten. Setzte sich lieber vor den Tresen, trank ihren Wein, und nicht zu knapp, und wenn sie anfing „Meine Güte!“ zu rufen, dann wusste Thomas, dass sie jetzt genug hatte. Ihr das zu sagen, nützte natürlich wenig. War schließlich ihre Kneipe. Konnte sie so lang drinsitzen und „Meine Güte!“ rufen, wie sie wollte.
Konnte auch vom einen auf den anderen Tag bestimmen, dass es keinen französischen Wein mehr gab, weil die bescheuerten Franzosen nicht mit ihren Atomtests im Pazifik aufhörten. Damit die Franzosen das begriffen, schrieb sie auf die Tafel vorm Laden: „Wegen Atomtests kein französischer Wein!“
Sie konnte auch bestimmen, dass Obdachlose nicht rausgeschmissen wurden aus ihrem Laden. Schöne Geste, schlecht für das Geschäft: Da setzte sich an jeden Tisch einer, und andere Gäste kamen nicht mehr rein. Als dann eine mal auf den Stuhl pinkelte, fand auch Margit, dass das so nicht weiterging. Ab jetzt also keine Obdachlosen mehr.
24 Jahre „Bermuda“, kaum mal Ferien. Sie war 52, hatte vom vielen Stehen Krampfadern an den Beinen und wusste, dass die guten Zeiten rum waren. Stammgäste starben, es kamen keine nach. Kreuzberg hatte seine hippen Zeiten hinter sich, dass neue kommen würden, konnte keiner ahnen. Also Schnitt und zu das Ding. Ob es wirklich Marks Schuld war, oder ob sie es nicht ganz allein so wollte, die einen sagen so, die anderen so.
Geld ist jedenfalls nicht bei ihr hängen geblieben, Margit musste bald zum Amt. Sie machte Umschulungen, die natürlich überhaupt nichts brachten. Der Kurs in Computergrafik hat ihr Spaß gemacht, sie konnte gut mit Photoshop umgehen und Webseiten bauen. An einer eigenen hat sie ewig gebastelt, aber es ist nichts daraus geworden. Sie absolvierte „Maßnahmen“, bei der letzten musste sie durch Neukölln laufen und in Geschäften irgendwelche Statistikfragebögen ausfüllen. Sie war ja gern unterwegs, aber 15 Kilometer am Tag waren ihr dann doch zu viel.
Gut, dass sie noch Mario getroffen hatte. Der sah mit seinen Tattoos nur so wild aus, war aber immer für sie da. Auch als sie starb. Krebs im Kopf, drei Monate, dann war es aus.
Und, Taki, was meinst du, diese große, schöne Frau, dann 24 Jahre Kneipe, dann Hartz IV, war das ein gutes Leben? Taki überlegt nicht lange. „Ein erfolgreiches, schönes Leben war das. Nur zu kurz!“ Mario, der Margit nach ihrer „Bermuda“- Zeit kennengelernt hat und von der zurückhaltenden Sorte ist, sieht es nüchterner: „Jemeckert hat se jedenfalls nich.“ David Ensikat