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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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28 Jahre nach dem Krieg wagte er sich wieder nach Berlin

Nachruf auf Günter Elieser Hammerstein (Geb. 1922)
Die brennende Synagoge in der Fasanenstraße am 10. November 1938. Günter, dessen Mutter hier im Chor mitsang, steht in der Menschenmenge. Gespannte Stille. Später Goebbels Rede im Radio vom „gerechten Volkszorn“, der sich nun entladen habe.
Noch vier Monate sind es bis zur Passage: „Ab mit Schaden, nischt wie raus!“ Günter, der in Steglitz aufgewachsen ist und auf die Theodor-Herzl-Schule am Kaiserdamm geht, hat sich auf eine Liste der Jugend-Alijah zur Auswanderung nach Palästina setzen lassen. Pass und Schiffskarte liegen bereit.
Die Eltern bringen ihn zum Bahnhof, in drei Wochen wird die Schwester folgen. Auch sie würden nachkommen, versprechen die Eltern. Sie kommen nicht nach.
Das Schiff erreicht den Hafen von Haifa. Der Bus, der die Einwanderer nach Tel Aviv bringt, wird mit Steinen beworfen. Bei der Registrierung im Einwandererheim soll Günter einen hebräischen Namen bekommen. Stolz erklärt er, den habe er schon: Elieser, sein zweiter Name. Sonst hat er nichts, keine Ausbildung, kein Geld. Er ist 16 und er hofft, Onkel Kurt, Tante Meta und ein Cousin im Kibbuz würden helfen.
Sie halfen - und immer wieder half der glückliche Zufall. Schon immer hat er Tiere geliebt, jetzt wurde er Tierpfleger im Biologisch-Pädagogischen Institut. Einmal musste er einen Pelikan zum Zoo in Jerusalem bringen. Er band ihm den messerscharfen Schnabel zu, steckte ihn bis zum Hals in einen Sack und löste zwei Bustickets. Der Pelikan bekam einen Platz am Fenster und sah still hinaus.
Elieser erlebte Gänse, die ihm ganz und gar vertrauten, da er das erste Lebewesen war, das sie nach dem Schlüpfen erblickt hatten. Er las Konrad Lorenz Schriften und knüpfte Kontakt zu dem berühmten Zoologen.
Dann wurde er Biologielehrer. In der Schule hieß es: „Du bist doch aus Deutschland, das heißt, du kannst organisieren.“ So musste er den Lehrplan erstellen.
Von seinen Eltern hatte er seit 1942 kein Zeichen mehr erhalten. Im Februar 1947 kam schließlich die Nachricht vom „American Jewish Joint Distribution Committee“: „It must be assumed, that they did not survive.“
Elieser heiratete Adina, die in Israel geboren worden war. Zwei Töchter kamen zur Welt, das Leben ging weiter.
Erst 28 Jahre nach Kriegsende wagte Elieser, Deutschland wieder zu besuchen. Konrad Lorenz hatte ihn eingeladen. Was könnte er ihm als Geschenk mitbringen? Jemand riet ihm: ein lebendes Tier. Und er schmuggelte ein Chamäleon durch sämtliche Kontrollen. Er sah Berlin wieder, und er konnte noch berlinern. Sein schnoddriger Humor: berlinerisch und jüdisch.
Nach der Pensionierung dann der Entschluss, die Hälfte des Jahres in Berlin zu leben und an der Freien Universität sein Biologiestudium samt Doktorarbeit nachzuholen. Am 7. November 1989 übernachteten er und seine Frau zum ersten Mal in der neuen kleinen Wohnung. Zwei Tage darauf fiel die Mauer.
Auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee richtete er den Grabstein der Großeltern wieder auf. Denn ein Mensch ist erst dann vergessen, wenn sein Name vergessen ist. Ein Grabstein für die Eltern? Er fuhr nach Auschwitz, um vielleicht noch irgendetwas von ihnen zu finden. Nichts. Am 10. Juni 2009 wurden zwei Stolpersteine vor dem Haus in Steglitz, in dem sie gewohnt hatten, verlegt. Elieser saß bei der stillen Zeremonie regungslos auf einem Stuhl. Seine Augen, die waren hellwach.
Sein Buch „Erinnerungen und Meinungen eines Israeli-Berliners“ hatte er 2005 geschrieben, zuerst auf Hebräisch, dann auf Deutsch. An heiklen Punkten in seinem Leben, so schrieb er, hat ihm einer immer wieder geholfen: der glückliche Zufall. So konnte er oft sagen: „Hitler ist tot. Aber ich lebe noch.“ Maja Rehbein