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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Sie wollte nie weg aus Ost-Berlin. Warum auch?

Nachruf auf Gaby Bauer (Geb. 1960)
Ein Schmuckkästchen, ein Stövchen, eine Duftkerze, ein Armband mit Muscheln, ein Magnet mit Katzenmotiv, kleine Nettigkeiten eben, Mitbringsel, Sympathieträger. Gaby hatte immer etwas dabei, wenn sie vorbeikam, eine Freudeschenkerin war sie, eine, die selbst voller Freude war. Im Urlaub liebte sie das Stöbern in den Souvenirläden.

Mit den Eltern verstand sie sich gut, mit den Mitschülern auch. Niemand nahm Anstoß an ihrer Art, sich durchs Leben treiben zu lassen. „Sie war ganz normal“, sagt eine Freundin. Eine Leichtigkeit strahlte sie aus, weil sie mit dem zufrieden war, was sie umgab. Sie ging nicht an ihre Grenzen. Sie wollte da gar nicht hin. Auch nicht an die Grenzen, die der Staat gesetzt hatte. Sie fühlte sich frei, weil sie die Unfreiheit nicht spürte.

In Karlshorst wuchs sie auf. Die Eltern arbeiteten bei „HO Gaststätten“, dem staatlichen Handelsbetrieb. Sie hatten ein Auto, ein Telefon, und wer in der DDR-Gastronomie beschäftigt war, litt auch sonst keine Not. Für Gaby war selbstverständlich, dass sie den gleichen Weg einschlagen würde. Die Zeugnisnoten waren da nicht so wichtig. In die „Disse“ gehen am Tierpark schon eher. Gaby pflegte ihre Haut mit Cremes und Gurken. Sie machte eine Ausbildung im Restaurant Lindencorso. Und sie bekam ein Kind. Mit 17. Na und?

Im „Baikal“ am Leninplatz wurde sie Oberkellnerin mit weißer Bluse und Schürze. Dort lernte sie Andy kennen, der als ungelernter Kellner anfing. Andy war fünf Jahre jünger und hatte einen Ausreiseantrag gestellt. Kein Partner für länger offenbar, aber sie verliebte sich trotzdem. „Dann müssen wir die Zeit, die uns bleibt, eben nutzen“, sagte sie. Selbst wollte sie nie weg aus Ost-Berlin. Warum auch?

Im August 1989 reiste Andy aus. Sie telefonierten täglich, bis die Mauer fiel. Vieles veränderte sich rasant, aber Gabys Leben nur ganz allmählich. Sie war wieder mit Andy zusammen, wohnte weiter in ihrer Wohnung, arbeitete im „Café am Stadtpark“ in Lichtenberg und kümmerte sich um ihren Sohn. Wenn Bekannte plötzlich in den Westen verschwanden, hin zur D-Mark, den großen Gehältern und den schicken Autos, zuckte sie nur mit den Schultern. Nie würde sie ihre Familie und ihre Freunde zurücklassen.

Erst 1991 zog sie nach Wedding, zu Andy. Ihre alte Wohnung übernahm ihr Sohn. Wo nun der Westen so nah war, konnte man auch dorthin ziehen.

Dann fing es an mit den Fernreisen. Im Reiseteil der Zeitung stand was von „Urlaub wie Robinson“. Das klang verführerisch, also flogen Gaby und Andy in die Dominikanische Republik, 20 Stunden via Kanada. War aber schön genug, es im nächsten Jahr wieder zu tun. Nach acht Mal Karibik steuerten sie in die andere Richtung, Thailand, Khao Lak, Ko Samui. Von jedem Strand füllte sie eine Sandprobe in eine Fotodose, als Erinnerung an sonnige Zeiten. Gaby las dicke Wälzer in der Hängematte, ließ sich vom Urlauber-Mönch segnen – „Good luck to you!“ – und spürte eine tiefe Zuneigung zum Buddhismus. In ihrer Familie war sie ja selbst der Ruhepol.

Als ihr im „Cafe am Park“ gekündigt wurde, fing sie bei Anton Schlecker an, dem Drogeriemogul. Bei Anton war es dann so ähnlich wie früher bei Erich, dem Staatschef. In jedem Schlecker-Büro hing ein Portrait von ihm. Einer ist oben und macht die Ansagen, alle anderen müssen’s ausbaden. Trotzdem blieb Gaby immer freundlich, wenn sie Kunden bediente. Sie konnte gar nicht anders.

2007 machte sie einen Routinecheck beim Arzt. Das Ergebnis: Darmkrebs. Im Frühstadium, sie hatte Glück. Die Behandlungen und Kuren schlugen an. In der Therapie fing sie an zu malen. Vier Jahre später erklärten die Ärzte sie für geheilt. Der Krebs hatte sie noch dankbarer gemacht für alles, was sie erleben durfte.

Zwei Jahre später fuhren sie im Auto durch Berlin auf der Suche nach einem Haus mit Garten und viel Platz für die Enkeltochter und für die Pfingstrosen, die sie pflanzen würde, damit es wieder so riecht wie früher zu Hause. Für die richtige Stimmung lief „Haus am See“ von Peter Fox. Schön laut.

Andy findet 2010 ein Haus fast am Ende Berlins, jwd in Mahlsdorf, aber günstig. Gaby will sich bald von Anton Schlecker verabschieden, für immer. In ihrem Haus würde sie sich fortan beschäftigen mit den Rosen, der Malerei und dem Enkelkind. Darauf freut sie sich.

Nach Ostern fahren sie in ein Wellness-Hotel auf Rügen. Abends sitzen sie in einer Bar, trinken Cocktails. Gaby erzählt, dass sie stolz sei auf das Haus, auf ihr Enkelkind, auf alles, was sie zusammen erreicht haben. Dann erzählt sie von Schlecker, dass sie jetzt Schulranzen für 30 Euro anbieten und damit die Kunden locken, dabei hätten sie nur drei Ranzen auf Lager gehabt.

Zurück im Hotelzimmer fühlt sie sich seltsam, geht zur Toilette und bricht zusammen. Lungenembolie.

An einen Gott hat Gaby nicht geglaubt, aber dass wir Menschen nicht alleine sind im Universum, da war sie sich sicher. Thomas Loy